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Annelie Schmidtchen: Kitchen-Kitsch & Zukunft Gestalten

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Ganz in ihrer Rolle als Gesprächsmoderatorin aufgehend, fragte Annelie Schmidtchen Ute Q und mich, also ihr “Kleinteam”, ob und was bei uns Besonderes anliegt, bevorsteht – vielleicht gäbe es ja noch Nachträge zu bereits abgehandelten Themen, oder neue Ideen. Ich ließ Ute den Vortritt; sie teilte mit, sie hätte schlechte Nachrichten:

“Offizielles Ziel ist ja, dass ich als Praktikantin mittels der übers Praktikum gewonnenen Zusatzqualifikation und weiteren Einsichten beispielhaft demonstriere, wie auch ältere, abgehängte ArbeitnehmerInnen wieder Brot und Arbeit im ersten Arbeitsmarkt finden.

Allerdings ist das schwierig – nach dreißig Bewerbungen immer noch keine positive Resonanz, ein Personaler (in einem thailändischen Perlen-Großhandel) hat nur gemeint,  zum Auffädeln wären junge Frauen besser geeignet, wenn ich bei der GCEB im Praktikum bin, sollen die mir halt auch einen Job geben.

Nach der letzten Sitzung hat sich bei mir die Idee “politische Sprachschulung” herauskristallisiert – andererseits muss ich zugeben, dass ich beim Polit-Sprech selbst nie weiß, was wie gemeint ist, etwa, wenn Putin den USA politische Schizophrenie bescheinigt, befürchte ich, dass beide Seiten eine kollektive, globale Psyhose haben, unter Drogen stehen oder Beides.”

Annelie blickte nachdenklich auf ein weißes Blatt, notierte etwas unleserliches, schaute auf, fragte:

“Machst Du Dir so  viele Gedanken? Hast Du das Gefühl, Du wirst in der Politik gebraucht? Willst Du da etwas verändern?

Texte besonders gut übersetzten, während “Übersetzung” ja auch immer Interpretation ist? Und willst Du wirklich den Praktikumsplatz wechseln, hast keine Lust (nicht mehr?) auf die Bank-Kantinen-Konzeptentwicklung und -Fortschreibung?”

Man könnte die Gesprächsathmosphäre während der letzten Sitzung als “Energetisch-konzentrativ” bezeichnen, und diese Stimmung war vielleicht auch den von mir bereitgestellten Getränken zu verdanken – aber es ging im Kern um etwas Anderes, meinte Ute:

 

“… und worum es mir eigentlich geht, wäre, endlich einmal etwas zutiefst sinnvolles zu arbeiten – hier an Konzepten zu schrauben für Zukunftsvisionen wie “Bank-Indoor-Farming und nachhaltiges, selbstbestimmetes und aufgeklärtes Essen im demokratisch organisierten Team”, bei denen noch nicht einmal die Fundamente stehen, kommt mir doch allzu wirklichkeitsfremd und utopisch vor…”

 

Mehr Vertrauen – mehr Effektivität bei der Arbeit

Während Annelie nur still weitere Notizen machte, abwartete, erklärte ich, dass nur Wenige sich am Luxus einer öffentlich subventionierten Fort-Qualifikation bei fortlaufenden Bezügen erfreuen können (und ich mir so einen Luxus für mich selbst auch wünschen würde); das müsse ich wohl nicht großartig betonen, und würde in diesem Zusammenhang “unserer Qualifikations-Ute” ein Drei-Wochen-Rezeptentwicklungs-Praktikum anbieten, das dazu unverzichtbare Talent einmal vorausgesetzt:

Hier meinte Ute:

“Bei einem asiatischen Nudeltopf mit vielen Sojasprossen, ein paar Nudeln und weiteren, eher undefinierbaren Zutaten gehört mehr Vertrauen als Salz zum Essen; überzeugend ist schließlich vielleicht der Geschmack, die Würzung wird wohl auch viel Sojasauce enthalten, und ob die hausgemacht ist – ich glaub’s ja nicht. Mir fehlen hier noch die farblichen Akzente, von roter und gelber Paprika zum Beispiel, grüne Bohnen, sichtbare Ingwer-Stückchen – wenn Du mehr willst als eine hauptsächlich sättigende Mahlzeit, sondern eine, die Du genießen willst – und vor allem, eine, die auch andere genießen können sollen; tut mir leid, aber das kommt beim “Mitsprechen der Kunden” heraus: Kritik, und damit musst Du umgehen, auch wenn Deine “Kunden” Deine Produkte schon mal als dilletantisch-autodidaktischen Kitchen-Kitsch bezeichnen!”

“Mit mir kannst Du über alles sprechen, auch über die Ayurvedische Farben-Lehre der Ernährung, und…”

Annelie hatte sich gestisch zu Wort gemeldet und mich gebeten, zu schweigen, denn

“… es geht hier doch um mehr als um buntes, gesundes Essen; bei der nachhaltigen Ernährung handelt es sich doch nur um einen kleinen Ausschnitt dessen, was angesichts der globalen Entwicklungen zu tun ist: Die Spirale der Klimaänderung dreht sich unumkehrbar weiter, für die Menschheit als Ganzes geht es um den Fortbestand der Kultur, die bisher “immer” auf der Basis unterdrückter Menschenrechte aufgebaut war und auch nicht durch die Existenz einer Hamburger Elbphilharmonie gerettet wird, weil  die Kulturindustrie längst die Kultur kassiert hat.

Es geht um mehr als das modellhafte Selbstbestimmungsrecht auf dem Teller, es geht um die Menschenrechte, zuallererst das Recht, zu leben und zu überleben und nicht am Hunger zu krepieren, nicht auf einer doch allermeistens unfreiwilligen Flucht zu ertrinken oder zu erfrieren, nicht unbemerkt zu verschwinden – es gibt einen Anspruch auf Hilfe und die Pflicht zu helfen – wenn das nicht der Kern jeder relevanten Philosophie ist, fresse ich einen Besen, nein, lieber besteige ich einen und umkreise darauf das Frankfurter Banken-Viertel!”

“Mit der Nummer wärst Du in der “Hexenturmstadt Idstein” bald die Attraktion – für  die ungezählten, wenigen Altstadt-Touristen; die “Einheimischen Zugezogenen” allerdings werden nicht viel Wert legen auf Besenreiterei”,

fiel mir dazu ein, und Ute näherte sich dem Kern des Gemeinten an, indem sie

“… bei den Menschenrechten noch einmal nachhaken [wollte]. Dieser “human rights”-Gedanke leitet sich doch aus der Frage: “Warum leben wir, was bestimmt uns – sind das Götter, ist das ein Schicksal, eine Vorbestimmung oder ist das auch eigene Verantwortung? Was unterscheidet uns von den “toten Dingen”, was treibt unsere Seele vor der Geburt und nach dem Tod, und warum sollen wir dem Nachbar nicht den Schädel einschlagen?”

“Abgesehen davon, dass diese basalen Fragen vielleicht längst schon entschieden sind, aber im Verhalten, in der Konsequenz längst noch kein Konsens herrscht, denn der Besitz des Einen bedingt auch schon mal, dass der “Habenichts” verreckt.

Nun leitet sich aus dem Gedanken der allgemeinen Menschenrechte noch das Recht künftiger Generationen auf eine Lebensgrundlage ab – nur wird deren Recht auf eine intakte Umwelt und auf soziale Verhältnisse, die der Menschenwürde entsprechen, weitgehend ignoriert….”

Mit diesen Fragen trieb Annelie die Diskussion weiter, während ich fand, diese Fragen hätten ein anderes Tempo und mehr Gründlichkeit verdient, und außerdem:

“Dass ich mich schon seit ein paar Wochen frage, warum Du, Annelie diese scheinpolitischen Gespräche überhaupt zulässt und förderst, statt Dich um Deine eigentlichen Aufgaben zu kümmern, möchte ich mal gesagt haben:

Wir werden doch nicht im Geringsten den Lauf der Welt beeinflussen, egal, wie viele Probleme wir diskutieren!  Im Gegenteil – es wird doch alles nur schlimmer. Wo bleibt denn die Menschenwürde, wenn ein Computer Menschen warnt, nicht zu viel zu computern?

Diese absurden Zukunftsfragen, Fehlentwicklungen von Gesellschaft und Technik: Wir sind global auf einem Holzweg, und der versinkt zum Beipiel in Sibirien demnächst im Schlamm, wenn die Permafrostgebiete auftauen und mehr Methan freigesetzt wird, als sämtliche Rinder der Welt beim rülpsen und pfurzen erzeugen…”

Ute machte einen verwirrten und gleichzeitig besorgten Eindruck, fragte, was denn “Permafrost” ist und was an Methan so schlimm sei – schließlich würde das doch in Biogasanlagen “mit Fleiß” erzeugt, sei brennbar und ein ökologisch wertvoller Energieträger. Ob sie das jetzt selbst googeln solle oder ob ich vielleicht die Güte hätte, ihr das zu erläutern, war schließlich eine rhetorische Frage, die ich wie folgt beantwortet habe:

“Ich bin doch auch kein Geologe, Meterologe und auch kein Physiker – was ich mal aufgeschnappt habe ist, dass es in Sibirien und auch in Alaska Gebiete, riesige Landschaften gibt, in denen es so kalt ist, dass der Boden eigentlich nie richtig auftaut – wenn, dann vielleicht nur oberflächlich, aber in der Tiefe ist er permanent gefroren, seit Urzeiten. Vor diesen Urzeiten muss es da mal Vegetation gegeben haben, die zum Beispiel Moore und Torfe gebildet hat; und in diesen tiefgekühlten Bodenschichten, die eine ganz enorme Erdmasse ausmachen, sind enorme Mengen von Methan – aus der Vegetations-Urzeit – gebunden.

Das ist, wie wenn Du kohlensäurehaltiges Mineralwasser einfrierst. So lange der Eiswürfel Eis ist, bleibt die Kohlensäure gebunden; taut es, fängt das kalte Wasser an, zu bizzeln: Das Kohlendioxid tritt aus. Mit der Erde, die permanent gefroren ist (deshalb “Permafrost-Gebiete”),  geschieht fast das Gleiche wie mit unsereren Eiswürfeln, nur dass Methan und nicht Kohlendioxyd austritt.
Mit dem Klimawandel fangen die Permafrostgebiete schon an, anzutauen, treten erst mal nennenswerte Mengen an Methan aus, steigt das in der Athmosphäre nach oben und bildet dort eine wärmeisolierende Schicht, wie der Mantel einer unsichtbaren Thermoskanne, das heißt, die “Spirale der Erderwärmung” bekommt eine weitere Schicht hinzu, dreht sich noch einen Tick schneller – unumkehrbar und eigentlich auch gar nicht vorstellbar.”

Jetzt meinte Ute, so kompliziert sei das doch auch wieder nicht,

“… und vorstellen kann ich es mir auch – nur hat die “Vorstellung” den Nachteil, dass sie überhaupt nicht schön ist; ich würde sagen: Niemand will den Klimawandel – aber viele wollen ihn nicht wahrhaben, also verleugnen sie ihn, oder sagen: “Da kann man nichts machen”.

Sehr beliebt auch: “Da muss die Politik etwas machen”. Noch häufiger, nach meiner Einschätzung: “Nach mir die Sintflut”. Das sind die Gleichen, die bei “Co2-Reduktion” geheult haben, das Heizöl wäre zu teuer, oder  wir bräuchten breitere und mehr Straßen.

Statt Treibhausgase einzudämmen, wird mehr Sprit oder Kohle verbrannt – und “Da kann man nichts machen”.  Wenn Flughäfen subventioniert werden: “Da kann man nichts machen.”

Als Annelie beim Blick auf die Wanduhr anfing, zu blinzeln, ahnte ich,  was sie jetzt sagen würde, und richtig:

” Das ist eine Anhäufuing schöner und wichtiger Fragen – nur werden wir die heute nicht mehr beantworten können, aber ich freue mich auf unser nächstes Treffen, bei dem wahrscheinlich noch einige Fragen dazukommen werden – vielleicht auch Lösungsansätze?

Euer Einverständnis und Klaus Peters Bereitschaft zur Zubereitung vorausgesetzt, könnten wir das heutige Treffen ja bei einer unprotokollierten Tee-Plauderei fortsetzen und ausklingen lassen.”

 

 

Kitchen-Fiction mit A. Schmidtchen

Erklärtermaßen und ausdrücklich unter dem Label Fiktion: Erfundenes. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen oder Institutionen sind ausschließlich zufallsbedingt:

Das Essen wird mehr und mehr zur neuen Religion; Wir befolgen bis zu 999 Ess-Gebote, ohne mit der Wimper zu zucken. Essen ist der Kitt der Gesellschaft, es hält Leib und Seele zusammen.

Die Kantine, als Schmelztiegel der Arbeitswelt, spart nicht beim Salz an der Suppe, soll künftig auch  Super-Rezepte zum Abnehmen anbieten – deshalb gibt es hier garnierte Geschichten, die sich um Lebensmittelklarheit und -Aufklärung ranken, unter dem Banner des Selbstbestimmungsrechts auf dem eigenen Teller.
Die bisher erschienen “Kitchenfiction mit Annelie Schmidtchen”-Beiträge  stehen noch kurze Zeit zum Nachlesen bereit, wobei das Beste ist, dass die Artikelserie fortgesetzt wird !

 

 

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