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Sevim Dagdelen und Annelie Schmidtchen: Von Fond und Fonds

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Das Planungsteam “Gesunde und ansprechende Kantine” unter Leitung von Annelie Schmidtchen, der Betriebs- und Unternehmenssoziologin mit kulinarischem Anspruch,  fungierte beim letzten Zusammentreffen wieder als Qualifizierungs-Umfeld für “Ute Q“, eine langzeitarbeitslose Sprachlehrerin, die die Effekte einer “Förderstufe” von Hartz 4, nämlich des qualifizierenden Arbeitslosengelds 2, auch genannt Hartz Q, im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung evaluiert.

Was Annelie und mich verbindet – der Kampf gegen die Pfunde – ist für Ute offenbar kein Problem; aber wie würde sie sich verhalten, wenn es darum geht, diesen Kampf gemeinsam zu führen?
Mit dieser Fragestellung im Hinterkopf legte ich den beiden Teammitgliedern die “sieben Grundregeln beim Abnehmen” vor.
Annelie kannte die Thesen bereits und erkannte auch ganz richtig, dass die Zusammenfassung als Thesenpapier und Liste von Regeln nicht die Ausarbeitung des eigentlich unvollendeten “Werks” ersetzt, meinte auch, dass das “Handbuch” Besseres verdient hätte.
Ute war irritiert, dass dem Stern ein Zacken fehlt, fragte sich, was “diese Graphiker” heute überhaupt noch zustande bringen, verstand die beiden letzten Punkte garnicht, wollte sich aber gerne in die Materie einarbeiten, was ich wie folgt beantwortete:
“Bewegung ist doppeldeutig” heißt im Zusammenhang mit “Gewichtskontrolle” alles Mögliche, vielleicht auch, dass “Kontrolle” im Sinne von “Außensteuerung” nie funktionieren wird, heißt auch, dass “Weniger essen und mehr Bewegung” das wohlfeile Patentrezept der schlanken Besserwisser ist, die ihre “dicken” Mitbürger so oder so unterstützen – Du kennst Dich damit ja Bestens aus, wenn ich nur an die Episode mit Deiner Kindervderschickung erinnern darf, wo Du Deiner Freundin ja auch einen Bärendienst erwisen hast.
Bewegung” ist aber auch:  Die demokratischen Grundrechte nicht nur in die Ecke stellen, sondern nutzen, die Forderung nach anständigem Essen und einer nachhaltigen Lebensmittelversorgung erheben, Aluminium als Lebenmittelverpackung ablehnen, weil die Herstellung unsere Lebensgrundlagen beschädigt, regionale Lebensmittel verarbeiten, und wenn schon industriell gefertigete Lebensmittel verwenden, dann solche ohne zugesetzte Geschmacksverstärker und ohne Konservierungsstoffe.
Und beim Umgang mit Lebensmitteln, zum Beispiel, kocht niemand besser, wenn er aus Angst, etwas zu versalzen, zu wenig salzt, oder in der Hoffnung, Anderen zu imponieren, völlig unsinnige Kombinationen auf den Teller bringt.”
Gebratene Avocado auf Spitzpaprika und Schmand-Petersiliencreme
Annelie fand in meinem Statement einige Widersprüche:
“Einerseits reklamierst Du hier regionale Lebensmittel, verwendest andererseits Avocados – es heißt zwar immer, die seien gesund, aber in der Produktion verursachen die immer größereen Plantagen zunehmend Probleme beim Wasser-Management, und, schlimmer, geht die Produktion mit Landraub und Enteignung der Kleinbauern einher.”
“Wenn ich zweimal im Jahr eine Avocado kaufe, die als “überreif” klassifiziert kurz vor der Aussonderung steht, ich sie also vor der Kompostierung bewahre, finde ich das nicht so sehr ökologisch bedenklich”
war meine Entgegnung, und Ute stimmte mir zu -
“aber ökologisch bedenklich sind dann die Industrieprodukte durchaus, so “sauber” sie auch sein mögen; es ist doch Unfug, eine “China-Nudel-Pfanne”, in Norddeutschland zusammengewürfelt, tiefgekühlt in eine hessische Pfanne zu werfen und die Strom- und Transportkosten lediglich der Bequemlichkeit zuliebe zu berappen.
Neulich kam eine Sendung im TV: Frisch auf den Tisch? Die Wahrheit über Restaurants, demnach kannst Du sogar, wenn Du essen gehst, nicht mehr davon ausgehen, dass die Speisen vor Ort zubereitet werden – wenn Du dann hörst, dass es “convenience-Schnitzel” für unter 2 Euro gibt, die Du nur noch frittieren musst, um sie dann zum fünffachen Preis weiterzuverkaufen…
Ich komme da schon ins Grübeln, besonders, wenn man in die Speisekammer eines gutbürgerlichen Restaurants schaut…”
Annelie – ganz Unternehmenssoziologin und Gesprächsleiterin – bedanket sich für diesen Beitrag,
“Und natürlich müssen wir da für die Kantine eine Linie oder Leitlinie finden, natürlich auch den Küchenchef gemäß der Anforderungen aussuchen und nicht ihn den Anforderungen anpassen. Aber gerade deshalb suchen wir ja auch nach Alternativen,  neuen Ideen, geschmacklicher Innnovation, die der Nachhhaltigkeitspriorität entspricht. Was häöttest Du da noch anzubieten, Klaus-Peter?”
“Bei der gebratenen Avocado auf Spitzpaprika habe ich fürs Brot einen grünen Aufstrich verwendet – das war ein Rest Schmand-Yoghurt-Petersiliencreme, die ich für eine Sauce als Zutat gebraucht hatte – mit einem Kaffeefilter einfach noch die Molke abgetrennt, und schon ist es streichbar.”

Hausgemachte Brotaufstriche

Weil der Beitrag noch recht frisch ist, und in einem Rahmen veröffentlicht wurde, der darauf hindeutet, dass hausgemachter Brotaufstrich “voll im Trend” liegt, wies ich exemplarisch auf den Steinpilz-Kokos-Brotaufstrich hin.

“Es kommt auch immer darauf an, in welchem Umfeld ich so etwas anbiete – hier also mit frischer Paprika und Salatsauce, Pepperoni und Frühlingszwiebel, wahlweise auch mit Radieschensalat” erklärte ich noch, und auch hier gelte der alte Spruch: “Wer suchet, der findet”, und zwar findet sich eine ungeahnte Vielfalt an Brotaufstrichen, auch Süßesw wie der  Brotaufstrich mit Datteln und Curry - Sultans Traum, auf Saure-Sahne-Yoghurt-Basis:

“Auf diesem Gebiet sind die Food-BloggerInnen einfach Spitze, während industriell gefertigte Produkte häufig ein Drittel Rapsöl enthalten und trotzdem Preise um die 30 Euro erzielen.

Was für die Schulkantine oder Mensa gilt, dass Produkte aus eigener Herstellung auch in den “freien Verkauf” gelangen können, als “wirtschaftliches Standbein”, sollte auch für die Banker-Kantine gelten – natürlich ist ein Bio-Aufstrich mit dem “Deutsche-Bank”-Label undenkbar, aber ein nachhaltiger Laden wie die Global Collecting & Entrusting Bank (GCEB) könnte damit Sympathiepunkte sammeln – zum kleinen Preis. Zum Beispiel mit Hinweisen wie “Das Curcuma in diesem Aufstrich stammt von der [Name]-Kooperative in Indien, die wir mit fairen Mikrokrediten unterstützen – weitere Informationen unter https.GCEB.com/Mircrocredits.htm”.”

 

Der Koch und der Käse

Ute meinte nun, aus “hausgemacht” sollten wir nicht gleich eine Ideologie machen -

“Bei meinem letzten Städtetrip hat mich eine Freundin in ein Kreuzberger Café-Collectiv zum Frühstück eingeladen, und da gab es hausgemachtes Rhabarber-Chutney mit Ziegenfrischkäse von einer Havelland-Käserei -

… das nur mal als Beispiel, dass Lebensmittel-Zukauf nicht automatisch heißt, die böse Industrie mit all ihren Geschmacksverfälschungen zu unterstützen. Mein Leitspruch beim Essen ist jedenfalls: Lieber weniger und besser, aber nicht alle kennen den Unterschied zwischen Gourmand und Gourmet.”

Annelie, die sich offenbar angesprochen fühlte, empfand diese Gegenüberstellungen als “kurzsichtig”, denn immerhin äußerten sich in den unterschiedlichen Haltungen dem Essen gegenüber auch ‘”notwendig differierende Triebschicksale” und schon immer sei jeder Mensch einzigartig, was Anlagen und Entwicklung betrifft.
Ich hhatte auf Schwarz-Weiß-Denken und -Diskussionen keine Lust, wagte also die Ergänzung, dass es hier garantiert auch Überschneidungen, Grauzonen gewissermaßen gibt -

“…wenn es auch weniger wahrscheinlich ist, sich an Gemüsebratlingen oder Ziegenfrischkäse zu überessen, gibt es auch “Bio-Gourmands”, und es ist schwierig, ihnen zu helfen, wenn sie sich nicht helfen lassen wollen.”

Das erschien Annelie zwar in Teilen richtig, jedoch zu flach gedacht:

“Wie Du es darstellst, wollen Manche sich nicht helfen lassen – bei dieser Darstellung unterschlägst Du allerdings das Leid, das sich hinter dieser Haltung verbergen kann. Vielleicht ist es die Scham, Hilfe zu brauchen? “Bedürftigkeit” wird doch gesellschaftlich als “armselig” interpretiert, die Schwäche des Anderen als Möglichkeit, zuzuschlagen – vielleicht… “

Ute fand,  es sei an der Zeit, dass die Scham vorüber ist: Gegenüber einem  fragwürdigen Erfolgsbegriff, der  gesellschaftlich überbetont und mit der Illusion einer allgemeinen Chancengleichheit “aufgeheizt” wird, mit der  eigenen Bedürftigkeit auch die Bedürftigkeit des Anderen verdrängen erzeugt eine Sehnsucht nach Empathie, ohne selbst Empathie zu leisten:

“… außerdem ist so manche Hilfe mit Vorsicht zu genießen, “Experten” stellen falsche Diagnosen, und andere Experten sind unbezahlbar – für Normalsterbliche.

Der Außenminister hat sich offenbar eine (private) Schroth-Kur geleistet. Wenn er das nicht kommunizieren will, vermute ich, dass die Angst vor dem Stigma dahinter steckt. “Diät ist Privatsache” -  das ist ein politisches Signal, mit dem “Diät als gesellschaftlicher Belang” oder sogar “Diät als politische Bewegung” vielleicht erstickt, aber nicht angefacht wird.”

Dass die korrekte Bezeichnung “Genosse Außenminister” ist, hatte Ute offensichtlich noch nicht verinnerlicht – sie würde auch ohne Murren mit Weck & Wein vorlieb nehmen, deshalb versuchte ich erst gar nicht, ihr die Vorteile einer bunten Blumenkohlsuppe zu erläutern.

Blumenkohlsuppe, Under Cover: Der Blumenkohl ist nicht zu erkennen. Der Geschmacks des verwendeten Fods entzieht sich dem Bewusstsein

 

“Gerüchtweise”, meldete sich hier Annelie zu Wort,
“… habe ich gehört, dass Sigmars Lieblingswurst “Merguez” ist, er aber in der Hinsicht enthaltsam lebt, seit Monaten. Das kann man als passiven Widerstand interpretieren, ändert aber nichts daran, dass erst eine Linken-Politikerin das Kind beim Namen nennt und die verpönte Erdogan – Adolf-H.-Parallele zieht:”
Annelie hatte hier unliebsamen Zusammenhänge angesprochen, ich nahm den Faden auf und meinte:
“Warum hatten Gabriel & Coalitionäre nicht auf solche Korrelationen, “Freie Wahlen” betreffend, hingewiesen?
Unsere Kommunisten  waren damals ziemlich moskau-hörig, entwickelten wenig politische Phantasie, taten aber so, als hätten sie die Wahrheit gepachtet, als könnten sie den Sozaildemokraten und dem liberalden Bürgertum den Weg weisen – die “Einheitsfront”, die sie einforderten, hatte sich aber nicht formiert.
Es wird schon eine klammheimliche Zustimmung zu Bücherverbrennungen und Menschen-Vernichtungen (“ach, davon haben wir nichts gewusst/wissen wollen”) gegeben haben.”
Annelie wollte das Problem grundsätzlich angehen, konnte ihrem eigenen Anspruch aber nicht genügen:
“Beim Vergleich damals – heute zeigt sich – ja, was zeigt sich da eigentlich?
“Freie Wahl” gibt es vielleicht in der Kantine zwischen diesem und jenem Menü, besonders bei den Beilagen, bei Vorspeise und Nachtisch.

 

Die Parole vom “Massenselbstschutz” war sinnlos, weil die Mehrheit das Hakenkreuz als Glücksversprechen verstand und sich nicht in einer  von Kommunisten geführten Einheitsfront einreihen wollte.
Mit ihren ach so kämpferischen Forderungen hatten die Linken einen perfekten Schutzwall – gegen die Kooperation mit gesellschaftlichen Gruppen und Personen, die sich an den Menschenrechten orientierten, die noch von der Unteilbarkeit der Menschenwürde überzeugt waren.”
Ute konnte es nicht mehr hören:
“Alle reden von Menschenrechten, und ich respektiere natürlich jede einzelne menschliche Würde – aber was ist mit meinen Rechten? Mit meinem Recht auf Arbeit, auf saubere Luft zum Atmen, auf Glück und Zukunft?
Aber, mit etwas Glück und Unterstützung, kann ich ja eine Sprachschule für türkische Dissidenten eröffnen, denn
bei Sevim Dagdelen   finden wir die Forderung nach einem Fonds für Exilanten aus der Türkei, wo der Frieden mal wieder schwächlich ist und Demokratie und Menschenrechte unter  [... ] leiden.
Das sieht zwar nicht direkt nach Gleichbehandlung aller politischen Flüchtlinge aus; Ob so eine Forderung (und Förderung) von den Massen,  die eines Tages “Links” wählen sollen, geteilt wird, zeigen die nächsten Wahlen in D, die voraussichtlich noch als Freie Wahl stattfinden. Aber, wie gesagt, ich wäre bereit, meinen Beitrag zur Integration in der Deutsch-Türkischen Gemeinschaft zu leisten.”
Hier verzichtete ich auf einen persönlichen Kommentar, wenn mir auch die Frage “Welche Türkisch-Deutsche Gemeinschaft?” auf der Zunge lag und weil der flüchtige Gedanke “Gemüsefond für alle statt Finanz-Fonds für wenige” ohnehin nur auf Ablehnung stoßen würde.
Dass ich es schade finde, wie wenig Beachtung der überbackene Blumenkohl fand, den ich noch in die Diskussion eingeschoben hatte,  habe ich aber doch geäußert – und Annelie sagte zu, sich den beim nächsten Mal genauer anzuschauen. Im Übrigen könne ich mich entspannen – gerne bei einer Tee-Zeremonie; folglich ging ich in die Küche, um das Wasser aufzusetzen.

 

Liebe LeserInnen,

mit Annelie Schmidtchens Forschungsberichten zu Gesellschaft und Leiblichkeit schlagen wir ein neues Format der Diät-Unterhaltung auf und  begründen eine neue Literaturgattung:

Kitchen-Fiction mit A. Schmidtchen

Das Essen ist die Religion des kleinen Mannes, der Kitt der Gesellschaft und das Agens, das Leib und Seele zusammenhält.

Die Kantine, als Schmelztiegel der arbeitenden Bevölkerung soll künftig auch  Super-Rezepte zum Abnehmen, anbieten – deshalb gibt es hier garnierte Geschichten, die sich um Lebensmittelklarheit und -Aufklärung ranken, unter dem Banner des Selbstbestimmungsrechts auf dem eigenen Teller.

Die bisher erschienen “Kitchenfiction mit Annelie Schmidtchen”-Beiträge  stehen noch kurze Zeit zum Nachlesen bereit, aber das Beste ist: Die Artikelserie wird fortgesetzt!

 

Aktueller Nachtrag:

 

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