Wenn beim “Kompetenz-Netzwerk GegenGewicht” als wichtigstes Thema “Hilfe” sein wird, ist es auch angebracht, über die Motivation, zu helfen, nachzudenken.
Sicher, man kann “Helfen” auch als selbstverständlichen Impuls verstehen, der einfach da ist und dem man richtigerweise einfach folgt – aber so ganz selbstverständlich kann das Helfen doch nicht sein, denn allzu Viele halten sich hierbei zurück. Erwähnt sei deshal Klaus Thomas, der für Deutschland die Telefonseelsorge begründet hatte. Er hielt den Suizid für vermeidbar, meinte, dass
” Selbstmordgefährdete in Wahrheit Menschen [sind], die sich nicht umbringen wollen. Sie wollen leben, können es aber, mit ihren Schwierigkeiten, nicht mehr. Mehr als die Hälfte finden keine Erfüllung in Liebe, Ehe, Sexualität. „Selbstmord ist die einzige vernichtende Handlung, bei der Täter und Opfer dieselbe Person sind.“ (Quelle)
Eine leidige Parallele, die Übereinstimmung von Täter und Opfer betreffend, sehe ich hier allerdings, was die Krankheit der Übergewichtigen betrifft, und die Übereinstimmung zum Mythos von Narziss, in dem es heißt “Liebender und Geliebter sind Eines” finde ich verblüffend.
Was fehlt, ist das “Objekt”, das Gegenüber: Zum Dialog gehören Zweie, zum Gruppengespräch noch mehr Teilnehmer…
Nun waren im altehrwürdigen ZEIT-Artikel noch “Hilflose Helfer und heillose Opfer” angesprochen – das war damals so eine unselige Mode mit einem kleinen, wahren Kern, wenn auch längst nicht die ganze Wahrheit übers Helfen:
Eine Abrechnung mit den professionellen Helfern legt der Therapeut Wolfgang Schmidbauer vor. Er nimmt sich, analytisch, die Motive der Helferberufe vor –
Das war einerseits ulkig, weil ja, wer auf andere zeigt, vielleicht auch sich selbst meint, andererseits auch bedrohlich, weil ja etwas dran sein könnte, auch bei einem selbst. Meiner Motive, mich mit beispielsweise Entwicklungspsychologie zu beschäftigen, war ich mir ja einigermaßen bewusst…
Aber fragen wir lieber nicht nur nach unbewussten Motiven bei Pädagogen, fragen wir auch nach den undbewussten Motiven bei Theologen: Von einem war zu hören, Gott habe ihn berufen. Und Ärzte sind Halbgötter in Weiß, Psychotherapeuten mussten irgendwie lernen, mit ihrer verqueren Psyche zurecht zu kommen, PolizistInnen haben das unbewusste Bedürfnis, legal Waffen zu tragen, Chirurgen… ?
Wie auch immer – wenn der “Edelmut der selbstlosen Helfer” letztlich Egoismus ist, geht es nur noch um den Modus der Hilfe: Ist sie förderlich oder schädlich? Fördert sie die Eigenständigkeit des/der “Geholfenen” oder die Abhängigkeit von der/vom Helfer/in?
Und, bevor wir uns am Mangel an Edelmut festbeißen, sollte die Diskussionswürdigkeit der fachlichen Eignung, zu helfen, die häufig vorausgesetzt, aber nicht gegeben ist, Priorität haben.
Andererseits, wo Not herrscht, geht es nicht um Edelmut und Selbstherrlichkeit, sondern um die Notwendigkeit von Hilfe; Klaus Thomas wurde an anderer Stelle so charakterisiert:
Der Forscher und evangelische Pfarrer, den die “Berliner Morgenpost” einst als “Wissenschaftler zwischen pfingstlicher Erleuchtung und medizinischer Pragmatik” beschrieb, beschäftigte sich gezielt mit der Frage, wie ein Suizid verhindert werden kann. Das Hauptsymptom “aller Verzweifelten und Lebensmüden, der Depressiven wie der Neurotiker, ist ihre Einsamkeit beziehungsweise ihre Kontaktstörung”, schrieb er in seinem Werk “Handbuch der Selbstmordverhütung”. Suizide zu verhindern bedeute, einem Menschen in Not erfahren zu lassen, “dass er nicht allein ist.”
Es gibt keinen Grund, so zu tun, als ginge das “uns” gar nichts an, meist nur ein paar Ecken weiter gibt es genügend Beispiele für Mord und Selbstmord, für unterlassene Prävention und vermeidbare Katastrophen. Nicht ohne Grund gibt es den Begriff der (strafbaren) “unterlassenen Hilfeleistung”.
“Hilf Dir selbst, dann hilft Dir Gott” und”Du musst es nur wollen, Sport treiben, weniger essen & mit dem resultierenden Kaloriendefizit…”
Dieses Restmaterial aus dem Lager für überflüssige unsinnige Sprüche kennen wir und können jetzt mit W.M. Wundt diagnostizieren, dass sie ein Verbrechen darstellen. Höchst gefährlich wäre auch, Helfern pauschal ein Helfersyndrom zu attestieren und zu ignorieren, wie Helfer selbst wieder selektiert werden – von “Helfern”, die sich eine Richtlinienkompetenz anmaßen…
Wirkliche Hilfe, Selbsthilfe bei Übergewicht
In dem einen oder anderen Schreckensszenarium sieht es ja so aus, als benähmen wir uns wie die Lemminge, bewegten uns wie diese kollektiv auf den Abgrund der Zivilisationskrankheiten und des metabolischen Syndroms zu, brächten so das Gesundheitssystem ins Wanken und zum finalen Crash – genau so eine Betrachtungsweise bringt niemanden weiter.
Es geht aber – jeweils für den Einzelnen, für die Einzelne – durchaus um die Entscheidung “Selbstmord auf Raten” oder Überlebens-Willen.
Der Egoismus, der beim Helfen auch im Spiel ist, darf nicht allzu negativ gesehen werden: Es hat doch auch seine positiven Seiten, wenn ich helfe und wenn das meinem Selbstwertgefühl wohltut, weil ich das Gefühl habe, gebraucht zu werden.
Mit den geänderten Zeiten hat sich auch das Verständnis von “Helfen” geändert: Wir hatten auch schon Zeiten, in denen “Laienhilfe” als sündhaft-unprofessionell verschrieen war, dann solche, in denen die Expertise der Betroffenen gefragt und entwertet wurde – heute ist eine weitere Neuorientierung nötig.
“Hilfe” darf nicht mehr nur den Hilflosen zugestanden werden, denn unter dieser Voraussetzung fühlt sich jeder, der um Hilfe nachsucht, hilflos, und das ist gerade kontraproduktiv. Wer auf der Flucht alles verloren hat, muss sich nicht schämen, dass er nichts hat, und ihm wird geholfen.
Wer “bloß” und vermeintlich selbstverschuldet dick ist sollte sich dafür schämen, und auch dafür, dass er sich helfen lassen will?
Das sehen Viele inzwischen anders. Wenn Stress eine Mitschuld an der Krankheit hat: Den Stress macht man sich schließlich nicht mit Absicht selbst, den macht die Modeindustrie, die “Abnehmindustrie” und die Wekt der Medien mit ihrem irrsinnigen Informationsangeboten, die Dir die Wahlmöglichkeit von Pest und Cholera lassen, uns das Gift des “Alles-ist-möglich”-Gedankens einflößen wollen, und dabei die schädliche Isolation verleugnen oder fördern. Oder die Vorgaben des Arbeitgebers sind stressig, und, und, und…
Absicht ist aber ein gutes Stichwort: Für einen Satz wie
“Ich habe die Absicht, mein Gewicht zu verringern und etwas dafür zu tun, Erfahrungen hierzu auszutauschen, Hilfe hierbei anzunehmen und nach Möglichkeit Anderen – auf Gegenseitigkeit – weiterzuhelfen.”
muss sich doch niemand schämen, denn er ist vernünftig.
Die gute Laune vieler Übergewichtigen scheint einer “Erfahrung des Leidensdrucks” nicht zu entsprechen, aber wie oft wird die schlichte Frage “Wie gehts?” denn ernsthaft gestellt?
Hieran muss sich etwas ändern. Sicher, die Frage “Wie geht es?” scheint auf Füße und Beine, aufs Gehvermögen zu zielen, meint aber umfassender das “Sein”, dieses Unding “Gemüt“, womit wir auch bei einer möglichen Überleitung zu einer unendlichen Geschichte wären.
Das Gemüt nämlich soll ja ausgeglichen sein, in sich in Balance, wenn das vorstellbar ist wie eine Balance von beispielsweise Arbeit und Ruhe.
Hierbei hat auch das Helfen seine Bedeutung, denn “nur” Hilfe-brauchen braucht auch einen Ausgleich, so lange das machbar ist jedenfalls, nämlich etwas zurückzugeben, weiterzugeben, denn niemand will zwangsweise in der passiven Rolle “sich wohlfühlen müssen”, sondern mit dem Selbstbewusstsein, selbst auch Kompetenzen zu besitzen, sich in einer arbeitsteiligen Gesellschaft bewegen, austauschen, Dinge aushandeln – und nicht immer an “Diät und Verzicht” denken und sich mit “3 vorgeschriebenen Blatt Salat plus 25 Gramm handgebeizter Lachs” entmündigen lassen.
Häufig, allzu häufig scheitert die nachhaltige Gewichtsreduktion, und es ist Zeit, das zu ändern, und zu diesem Zweck neue Formen der Unterstützung zu entwickeln, was jetzt ein neues Kapitel wird:
Zusammenarbeit:
Wir schaffen das
Übergewicht ab!
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