Ich denke, die letzte Folge des “Handbuchs” hat einige Fragen offen gelassen, um die wir uns noch kümmern müssen.
“Wie soll der Körper seinem Bewohner mitteilen, was er braucht?” Das ist so eine fundamentale, anarchistische Art, zu fragen, die bei Susie Orbachs Anti-Diät-Ansatz unweigerlich auftaucht, und ich hatte ja angenommen, dass der Ansatz auf Gedanken von Wilhelm Reich und A.S. Neill beruht. Diese Spur lässt sich weiter verfolgen, und ein Zitat von Neill bringt uns einen Schritt weiter:
“Es gibt kein problematisches Kind, es gibt nur problematische Eltern.” (Quelle)
Stimmt – ich bin weißgott kein Kind mehr, aber dafür Vater, habe unproblematische Kinder, bin aber selbst problematisch – eine Situation, die ich mir als Jugendlicher nicht vorstellen konnte, und dass ich noch als junger Erwachsener “We don’t need no education” manchmal mit voll aufgedrehter Lautstärke gehört hatte, war irgendwie immer noch im Zusammenhang der Lektüre dieses Bestsellers geschehen.
Ich hatte – in gewisser Weise – problematische Eltern, und wurde zum “Problemkind”, und ob ich hier noch ein “gemacht” einfüge oder nicht, muss ich mir noch überlegen.
Wie das so ist – Kunden, die dieses Buch kauften, kauften auch “Erziehung zur Mündigkeit”, wahrscheinlich, weil sie den Text im Audio-Format nicht in die Bücherwand stellen konnten, oder weil Adornos Sprechstil dann doch ziemlich ätzend wirkt.
Hier wie dort geht es um die “freie Entfaltung der Persönlichkeit” des Kindes, das 1968-1969 dann auch nur Bauklötze staunen konnte bei der Konfrontation mit der Möglichkeit einer völlig anderen, “freien” Erziehung/Schule.
Dass “Mündigkeit” irgendetwas mit “Mund” zu tun haben muss, mit Essen, auch mit selbstbestimmtem Essen, ist, nebenbei gesagt, doch schon merkwürdig.
Dass die antiauroritäre Erziehung zum “laisser faire”, zum “macht doch was Ihr wollt, fresst doch was Ihr wollt” verkam und so mitsamt elterlicher und gesellschaftlicher (zum Beispiel schulischer) Für-Sorge den Bach hinunterging, konnte auch kein Adorno verhindern, denn die “Kultur-Revolte”, die nicht nur den Muff unter den Talaren hinweglüftete und gleich noch eine “sexuelle Revolution” inszenierte, köpfte ihre Väter. Das war Systemveränderung und auch wieder nicht.
Mit der Mündigkeit, der Selbstbestimmung, haben wir es nicht mehr so sehr seither, und das Motto “Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit” ist so passé wie die Maxime “Mehr Demokratie wagen”. Oder?
Zur Selbstbestimmung ist zunächst einmal die Selbsterkenntnis Voraussetzung und die “Ehrlichkeit sich selbst gegenüber”. Zur Erinnerung: Wir sind noch bei der Frage, wie der Körper weitervermittelt, was er braucht…
Obiges Zitat stammt übrigens aus einem sehr kompakten Interview mit Alexander Lowen, der vom bereits genannten W. Reich in dessen Form der Psychoanalyse eingeführt wurde, und diese zur “Bioenergetik” weiterentwickelt hatte. Auf die Atemtechnik, die richtige Aufrichtung des Körpers, die “Erdung” habe Reich besonders geachtet bei seiner “Psychoanalyse im Stehen”, sagt Lowen.
Wo Manche also ihre “Lehrjahre auf der Couch” absolviert haben und Viele eine krankenkassenkonforme Kurzform von Psychotherapie, die vielleicht auch noch psychoanalytisch orientiert ist, gibt es noch ganz andere Formen der Therapie oder Wege, zur Selbsterkenntnis zu finden.
Weder Reich noch Lowen haben sich mit der Ernährungslehre besonders auseinandergesetzt – “Charakterpanzer” und “Energieblockaden”, Verkrampfungen und (Trieb-) Abwehr des Menschen standen im Zentrum des Interesses…
Von “etablierter Psychoanalyse” war auch das Interesse an einer “vitalen, universellen (kosmischen?) Lebensenergie” weit entfernt, aber es gab noch weitere Gründe, Reich (der im “Gastland” USA schließlich inhaftiert wurde und im Gefängnis verstarb) zu verstoßen. Anders gesagt: Der Kreis von Psychoanalytikern, den Sigmund Freud um sich versammelt hatte, entzog Reich die Mitgliedschaft, implizit die “soziale Heimat”.
Alexander Lowen hat nicht alle Ansätze, die Wilhelm Reich entwickelt hatte, weiter verfolgt – aber schauen wir uns hier mal ein “Persönlichkeitsmodell” an, das er, ausgehend von Reichs Gedanken, aufgestellt hat:
- Die äußere Schicht besteht aus unseren Rollen (Ego, Persönlichkeit) in denen wir mit der Umwelt kommunizieren, aus dem, was uns von unserem Selbst bewusst ist. Beispiele: Der Ängstliche, die Misstrauische, der Beschämte, die Schuldige, der Zweifelnde, die Dramatische, der Melancholische, die Mächtige….der Vertrauensvolle, der Kräftige, die Selbstständige, die Verantwortliche, der Handelnde, der Wissende….
- Die nächste Schicht besteht aus unserem körperlichen, muskulären Empfinden. Beispiel: Schwäche, Verspannung, Schmerzen … Kraft, Wohlbefinden, Entspannung Ekstase…
- Die nächste Schicht besteht aus unseren Gefühlen Beispiel: Wut, Trauer, Angst, Hoffnungslosigkeit …Mut, Freude, Optimismus, Lebendigkeit…
- Die innerste Schicht besteht aus dem wahren oder höheren Selbst, der Seele, dem inneren Kern, dem Herz…”
Diese Zusammenstellung verdanken wir der Psychotherapeutin Elke Puetzer.
Bei Lowens “Bioenergetik” ist auf S. 282 noch eine graphisch einwandfreie Form dieser Darstellung zu finden:
Wer das Modell von Sigmund Freud mit “BW, VBW und UBW” (Bewusstsein, Vorbewusstsein, Unterbewusstsein) kennt, sieht auch, dass bei “Körperbewusstsein” und “Vorbewusstsein” die Differenzen, aber auch die Überschneidungen liegen -aber auch, dass Lowen in “körperliches, muskuläres Empfinden” und “Affekte” aufgliedert.
Woher aber das Bewusstsein die Informationen bekommen soll, was der Körper braucht, ist immer noch nicht beantwortet…
Alle Artikel aus der Serie “Handbuch zum Abnehmen” findest Du im Artikel “Das kleine Handbuch zum Abnehmen”.
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