220px-DNA_replication_split_horizontal.svg

DNA-Diät – Genetisch personalisierte Diät?

| 2 Kommentare

Die “DNA-Diät” ist aus der Idee “In den Genen lesen, was den Menschen formt” abgeleitet. Kann das funktionieren? Wie sie bei “food4me” dargestellt wird, war die “DNA-Diät” bereits Gegenstand etlicher Zeitungsartikel.

Worum geht es bei der DNA-Diät?

Zunächst einmal um offene Fragen, nicht um bewiesene Tatsachen:

Ist es möglich, eine bessere, gesündere und individuellere Ernährungsweise zu entwerfen? Wenn wir die Beziehung zwischen Nahrung und Genexpression verstehen, könnte das Wirklichkeit werden.

Was hier angedacht wird, ist Normalverbrauchern nicht gleich einsichtig:

Genexpression bezeichnet “…  im weiteren Sinne die Ausprägung des Genotyps – also der genetischen Information (Gen, DNA) – zum Phänotyp eines Organismus oder einer Zelle.”

  • Dass Wachstum und Ernährung zusammenhängen, ist aber ein alter Hut. Um den Zusammenhang von Ernährung und Gestalt zu verstehen, brauche ich lediglich die unmittelbare Anschauung.
  • Dass das menschliche Genom entschlüsselt ist, bedeutet nicht, dass man darin wie in einem offenen Buch lesen kann und so erfährt, mit welcher Nahrung der Genträger nun schlank wird und bleibt.
  • Dass es einen genetischen “Bauplan” gibt, heißt nicht, dass ForscherInnen verstehend darin lesen können.
  • Der Bauplan gibt keinerlei Hinweise auf die Erfahrungen und Umgestaltungen, die das “alte Haus” im Laufe der Zeit macht und erfährt.

Auf wundersame Weise soll aus der Gen-Analyse eine personalisierte Ernährungsempfehlung abgeleitet werden; fürs Publikum bleibt die Angelegenheit (gewollt?!?) undurchsichtig, aber sie wird teuer, wenn man sich kommerziellen Dienstleistern, die heute schon nach geheimen Formeln von der Genstruktur abgeleitete Ernährungsempfehlungen verkaufen,  anvertraut.

Die WAZ befragte Matthias Schmidt, Diabetologe an der Baumrainklinik in Bad Berleburg, und so erfahren wir:

Immer wenn man Patienten einen Ernährungsplan schreibe und sie motiviere, sich mehr zu bewegen, so dass mehr Kalorien verbraucht als zugeführt werden, führe dies anfangs zu einer Gewichtsabnahme. „Auf lange Sicht aber haben die kommerziellen Gen-Analysen sicher keine Daten vorzuweisen, die besser sind als andere Vorgehensweisen.“Man könne genau so gut auch ohne Gen-Analyse abnehmen, sagt Schmidt. Er empfiehlt eine gesunde Mischkost, fettreduziert, bei möglichst täglicher körperlicher Aktivität. Das sei auf lange Sicht viel einfacher, als zum Beispiel Kohlehydrate zu reduzieren.„In jedem Fall aber kommt man nicht darum herum, seinen Lebensstil zu ändern. Wenn man das schafft, nimmt man ab. Mit und ohne Test.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen auch die Autoren der ZEIT und befinden, dass, wer viel Geld für seine Verhaltensvorgaben hinblättert, diese auch als wertvoll betrachten wird.

Zwar ist “Food4Me ist ein Forschungsprojekt, das von Universitäten durchgeführt und von der EU finanziert wird” – was seine Ergebnisse wert sind, steht dennoch in den Sternen.

Nutrigenomics

Im Kapitel “Über das Projekt” wird der Forschungsansatz erläutert:

Die vollständige Entschlüsselung des menschlichen Genoms im Jahr 2000 hat die Möglichkeit einer individualisierten Medizin einschließlich einer personalisierten Ernährungsweise eröffnet. Während dieser Zeit entstand das Arbeitsgebiet der „Nutrigenomics“. In ihm wird die Beziehung zwischen Nahrung und Genexpression untersucht. Viele hatten die Hoffnung, auf der Basis des genetischen Profils einer Person die zu ihr passenden Ernährungsempfehlungen planen zu können.

Mit diesem Ansatz erscheinen Ernährungsempfehlungen zwar wissenschaftlich begründet, aber im Normalfall müssen sich die wirklich Abnehmwilligen im Gewirr von

  • persönlichen Vorlieben,
  • Einsichten in gesundheitliche Notwendigkeiten,
  • leistbarer Ernährung,
  • Gewohnheiten und
  • Zuschreibungen des Umfelds,
  • bedingt richtigen Empfehlungen und
  • schwankender Achtsamkeit gegenüber den lang- und kurzfristigen Bedürfnissen

zurechtfinden.

Der “passive” Wunsch, Empfehlungen zu erhalten, ist eine mögliche Option. Andererseits ist es auch eine Option, sich seine eigenen Ernährungsempfehlungen zu erarbeiten, zu “verschreiben”.

 

 

Fremdbestimmung, Selbstbestimmung, Selbststeuerung?

Wir haben das Ziel, eine standardisierte und kompatible Plattform für die Bestimmung der Nahrungsaufnahme zu etablieren, um Informationen über den Gesundheitsstatus und erweiterte Ernährungsempfehlungen mit neuen Algorithmen für Anwendungen in einer internet-basierten oder “elektronischen Gesundheits”-Umgebung.

So die Aussage von Hannelore Daniel von der  Technischen Universität München (TUM) auf der Homepage von food4me.

Welches Menschenbild sich hinter dieser Vision verbirgt, dürfte klar sein: Der Mensch wird hier technisch überwacht und von Systemen mit quasi-künstlicher Intelligenz beraten. Damit wird er zum Objekt eines technischen Überwachungs-  (“Monitoring”) und Empfehlungsapparats.

Der Mensch als Mensch kommt dabei zu kurz. Seine Kompetenzen bei der Auswahl und Zubereitung von Speisen werden in diesem Modell kaum erweitert. Er wird und bleibt fremd- oder fehlgesteuerrt.

Wichtiger als die apparative Verhaltensbeeinflussung wäre die Erforschung einer – denkbaren – natürlichen Selbstregulation.

 

Psychosomatik der Adipositas

Stichworte aus dem Arsenal der Psychosomatik sind zum Beispiel

  • “Essen aus Langeweile”,
  • “Essen als Trost”,
  • “Essen als Abwehrstrategie”.

Hier wird die Nutrigenomik lange nach entsprechenden Gensequenzen suchen können, und doch nichts finden. Diese Dinge sind nicht genetisch programmiert, sondern im Gehirn bei langwierigen und komplexen Lernprozessen “eingetragen”.

Insofern wird hier die Adipositas als gegenüber den verursachenden psychischen Sachverhalten sekundäres Phänomen, wenn auch mit Krankheitswert, angesehen – nicht aber als eines, das sich mit Hilfe einer “von außen übergestülpten” Anleitung zum Essen, einer Diät, lösen ließe.

Noch abstruser wird es, wenn statt des Ernährungsplans der Chirurg kommt:

Die Hauptursache für schweres Übergewicht ist im seelischen Bereich verborgen. Diese psychischen Mängel können nur in langen Sitzungen mit Psychotherapeuten und nicht durch Chirurgen mit dem Skalpell gelöst werden. Wenn man sagt, er hat sich einen dicken Panzer angefressen , dann meint dies genau einen Panzer vor seelischen Verletzungen. Was macht ein Übergewichtiger dem diese Vorsorge genommen wird? Er versucht auf andere Weise sich zu helfen zum Beispiel durch selbstverletzendes Verhalten bis hin zum Selbstmord.

 

Wobei die Ursachen der schlechten Stimmung, des Fehlverhaltens nicht mehr zu ändern sind – nur noch deren Verständnis, Bewertung, der Umgang mit den negativen Gefühlen kann sich verändern:
Weil aber “Emotion” das Wörtchen “Motion” enthält, und im weitesten Sinnes “Das, was uns bewegt” bedeutet, ist gerade die positive Gefühlslage in der Lage, uns in Bewegung zu versetzen, damit auch das Gefühl der “Selbstwirksamkeit” herzustellen, die (chronifizierte) depressive Weltsicht zu verändern.

 

Ende und Anfang der “genetischen Diät”

Alleine die Überlegung, dass mit Messen, Überwachen und Steuerung der Nahrungsaufnahmen langfristig kein positiver Bezug der TeilnehmerInnen zu ihrem Programm herstellbar sein wird, sollte uns von solchen Überlegungen Abstand nehmen lassen:
Wenn das “Wohlfühlen unter Kontrolle” in Nordkorea funkuntionieren sollte, heißt das nicht, dass es für Unsereins der geeignete Lebensstil ist. Wir lieben die Freiheit, und nur manche lieben die Überwacheung – oft sind das alerdings die Überwacher. Wer seine Fitness-App permanent mit persönlichen Daten füttert, wird im Gegenzug vielleicht  mit irgendwelchen Treuepunkten belohnt, welche weitreichende Manipulation daraus erwächst, bleibt der Phantasie überlassen. Was mit den Daten geschieht, hat vielleicht mehr Einfluss auf den Lebensstil als das Genom.

 

Versuche, den Menschen zu verstehen

“Genetisch” ist mehrdeutig – und wenn auch die Erfinder der “DNA-Diät” seelische Anteile der Menschen verachten und scheuen wie der Teufel das Weihwasser – Genetische Aspekte sind nicht alles, und kommen auch in anderen Fachbereichen vor.

Iin der Theorie der Psychoanalyse spricht man von topografischen, psychodynamischen, strukturellen, genetischen und energetisch-ökonomischen Aspekten.

“Genetisch” leitet sich hier von “Genese” ab, also von “Entstehung”.
Wie sind die aktuellen Gefühle, Gedanken, Konflikte und Verhaltensweisen entstanden, also: Aus welchen “oft bis in die Kindheit zurückreichenden Situationen” leitet sich die gegenwärtige Situation ab?
Das Unerklärliche wird zum Verständlichen, und im günstigen Fall können neue Strukturen entstehen.

 

 

Leinsamen

Verwandte Artikel::

2 Kommentare

  1. Schön, dass sich mal jemand kritisch mit diesen unnützen Diät-Versprechen beschäftigt – Versprechen, die vielleicht gar nicht eingehalten werden mit Resultaten, die mit der Genetik nicht mehr zu tun haben als die Diät mit dem Sternzeichen.

    Danke für den Artikel!

Hinterlasse eine Antwort

Pflichtfelder sind mit * markiert.

*