Gerne würden wir alle in Frieden leben, aber Terror, Umsturz und Gegenwehr, Krieg und Unruhen strahlen auch nach hier aus. Wieso und warum, dazu gibt es einige schlechte Erklärungen – was uns heutzutage so vorgesetzt wird – mit biederer Hausmannskost hat das zu tun, aber schließlich ist es ungenießbar.
Über
Das überraschend homogene Profil von Amokläufern
hatte uns die WELT unterrichtet, das “homogene Element”: Zur Isolation und tiefen Depression der Täter
“… kam ein pathologischer Narzissmus, ein Anspruchsdenken, etwas Besseres verdient zu haben – und der Wunsch, die unbedingte Aufmerksamkeit anderer auf sich zu ziehen”.
Wobei dem “pathologischen Narzissmus” gleich drei Nebensätze folgen mussten, damit wir verstehen, worum es geht, und die Illustration zum Artikel wenig mit den Tätern, viel mehr mit der Phantasie der Journalisten zu tun hat:
Eine weibliche Hand hält die Waffe, lackierte Fingernägel (hellblau) und schwarzer Stahl. Sodann werden Theorien und Halbwissen durchgewalkt, der Begriff “Narzissmus” ist heute in aller Munde, verhält dabei sich wie ein gebrauchter Kaugummi, nach einer Weile passiert nichts mehr.
Aber eines verrät die Illustration, ungewollt: Die Täter waren männlich, männlich-gestört vielleicht, wahrscheinlich auch mit einer gestörten Beziehung zu Frauen, zur Mutter zunächst? Was sagen die Frauen zu der Möglichkeit, dass sie gestörte Söhne haben könnten, oder haben nur die Väter versagt, sich nicht gekümmert?
Was geht im Kopf eines Amokläufers vor sich?
Einen recht guten Artikel dazu habe ich hier gefunden -
Bei vielen Amoktätern kann eine sogenannte narzisstische Persönlichkeitsstörung festgestellt werden. Diese zeichnet sich vor allem durch ein fragiles Selbstwertgefühl aus. das oft nach außen hin durch besonders Selbstbewusstes Auftreten kaschiert wird. Das führt dazu, dass manche Mobbing-Erfahrungen durch drastisches Verhalten gegenüber ihrem sozialen Umfeld selbst provoziert werden und das Gefühl der Kränkung gleichzeitig besonders extrem wahrgenommen wird.
So schrieb Eric Harris, der zusammen mit Dylan Klebold 1999 an der Columbine High School zwölf Schüler und einen Lehrer ermordete in seinem Tagebuch, dass er von anderen Schülern gemobbt wurde. Seine Mitschüler wiederum beschrieben Harris als denjenigen, der andere diskriminierte: “Psychologisch ist das doch relativ normal”, versucht Andreas Zick dieses Vorgehen zu erklären. “Wenn sie massiv Minderwertigkeit erfahren, geht das mit einem Kontrollverlust einher. Dann wird Kontrolle gesucht, die das ersetzen kann. Es ist eine Flucht aus den Problemen heraus hinein in die Gewalt”. Ein weiteres Merkmal der narzisstischen Persönlichkeitsstörung ist das extreme Selbstbild, das Amokläufer von sich zeichnen. Das kann sich zwischen extremem Opfer und extremer Machtorientierung bewegen. Allein das Planen der Tat kann einen Zustand der Machtposition hervorrufen.
Ich gehe davon aus, dass das hier Geschriebene nur ein Teil der Wahrheit, und insgesamt unverständlich ist. “Psychologie” wird hier in ein Korsett der Logik gezwängt, in das “Psyche” eigentlich nicht passt.
“Fragiles Selbstwertgefühl” als Haupt-Kriterium für “Narzisstische Persönlichkeitsstörung” zu setzen – das kann man machen, sollte es (Beides!) dem Publikum dann aber auch erklären, aber nicht mit phantastischen Formeln wie “Subjektlose Objektbeziehungen”.
Zum “überraschend homogenen Profil von Amokläufern” gehört auch, zu denken, etwas besseres zu sein, zum Beispiel Deutsch, arisch oder “sonstwas”.
Man kann aber auch so denken, ohne verrückt zu spielen, ohne Unbeteiligte mit in den Tod zu nehmen, und niemand muss (organisierten) Suizid begehen, niemand sollte mehr dem “Werther-Effekt” zum Opfer fallen.
Die “Tendenz zum Suizid”, zur Hybris, und das Gefühl, etwas besseres verdient zu haben: Verdient hat das keiner, und so kommt es darauf an, was man daraus macht. Auf jeder Ebene, auf beiden Seiten.
Wenn wir schon die Diagnose “Narzisstische Persönlichkeitsstörung” akzeptieren wollen, müssen wir auch denen, die darunter leiden (häufig: ohne viel von ihrem Leid mitzubekommen, den Schmerz “auszuschalten” gibt es ja verschiedene Methoden), zugestehen, dass sie etwas anderes verdient haben oder hatten, von Beginn an.
So ein Zugeständnis setzt vielleicht voraus, das eigene “narzistische Defizit” und die eigenen, mehr oder weniger erfolgreichen Wege, dieses Defizit zu kompensieren, zu kennen und zu “reflektieren”. Ansonsten ist es nur ein kleiner Schritt zum kollektiven Amok, zum kollektiven Sturz der Demokratie, dessen Betreiber sicherlich andere, “schöne” Worte für ihr “gerechtes” Tun finden.
“Wie gemobbt, so gerächt” ist so ein Motto aus dem Dunstkreis des Wahns – die alten Griechen kannten noch die Anrufung der Nemesis, der Göttin der Vergeltung:
Ewige, Heilige, Deine Freude
Sind allein die Gerechten.
Aber Du hassest der Rede Glast,
Den bunt schillernden, immer wankenden,
Den die Menschen scheuen,
die dem drückenden Joch
Ihren Nacken gebeugt.
Aller Menschen Meinung kennst Du,
Und nimmer entzieht sich Dir die Seele
Hochmütig und stolz
Auf den verschwommenen Schwall der Worte.
In alles schaust Du hinein,
Allem lauschend, alles entscheidend.
Dein ist der Menschen Gericht.
Natürlich ist so eine Institution nicht real, sondern nur ein Wunschgebilde, missverstanden und missbraucht zudem: “In Ovids Metamorphosen bestraft sie (Nemesis) den Narkissos, weil dieser die Nymphe Echo und andere durch seine Unerbittlichkeit zugrunde gerichtet hat.[7]
Nein, so primitiv war OVID nicht; im Mythos wurde Nemesis von einem Möchtegern-Lover, der abgewiesen worden war, angerufen, und erhörte dessen “gerechtfertigte” Bitte, Narziss möge selbst auch so leiden wie die unerwidert Liebenden, also zum Beispiel der “Anrufende”, gelitten hätten…
Der Ausgang der Episode (das Verschwinden der Persönlichkeit) zeigt, illustriert also den “vollendeten Narzissmus”, spiegelt zugleich den Zustand desjenigen, der Nemesis “angerufen” hatte (und hier bringe ich noch gleich den unsachlichen Kalauer, dass man damals noch kein Smartphone für so eine Anrufung brauchte), was bedeutet, dass auch derjenige, der “dem Narziss” alles Schlechte wünscht, selbst schon heillos narzisstisch ist.
Zur Diät, zu den Grundsätzen gesunder Lebensweise, gehört zweifellos auch das gesunde Gemüt. Die momentan freigesetzte Gewalt ist kaum für einen Zufall zu halten, und auch schon ohne menschenrechtsverachtende Anweisungen ist Selbstmord eine viel zu häufige Todesursache. Was der eine oder andere Täter beim Psychiater gewollt hat, möchte man wissen – und wann “das Gesundheitssystem” mal so viel Sensibilität entwickelt, wie nötig ist, um den Zündstoff, die schwelende Lunte rechtzeitig zu erkennen, zu löschen.
Bei alledem handelt es sich natürlich um Wahnsinn, also hoffentlich Ausnahmeerscheinungen. Im Narziss-Mythos hatte OVID vor 2000 Jahren noch von einem “neuartigen Wahnsinn” gesprochen; der ist nicht weniger geworden, und auch nicht noch neuer, aber erstaunt und hilflos teilnehmend steht die Gesellschaft vor dem Phänomen, das sie mehr und mehr durchsetzt.
Heute wird “Depression” diagnostiziert – nichtssagender geht es nimmer, oder “pathologischer Narzissmus” – das versteht eine Handvoll Psychologen, vielleicht – aber wer erklärt es uns, wenn es so bedeutsam ist?
Artikelbild: Wikipdeia/ Photo by Marshall Astor on Flickr, 2007-01-04, see http://flickr.com/photo_zoom.gne?id=341698903&size=o /cc