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Zucker: Lebenmittel, Rohstoff, Objekt der Spekulation?

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Die Blogparade beim Joop-Koopmanns-Blog “Nahrungsmittelspekulationen” stellt hinsichtlich der  Verteilung von Lebensmitteln folgende Fragen:

  • Sind Spekulationen mit Nahrungsmitteln tatsächlich schlecht?
  • Welche historischen Modelle der Verteilung und Preisfindung für Nahrungsmittel gibt es in einem globalen Maßstab?
  • Welche Alternativen gibt es Verteilung und Preisfindung für Nahrungsmittel in einem globalen Maßstab zu organisieren?
  • Bieten die “Neuen Technologien” alternative Ansätze um die historisch gewachsenen Modelle um neue Perspektiven zu erweitern?

Letztlich geht es um die gerechte Verteilung von Lebensmitteln, oder das Fortbestehen des Welthungers, der im Großen und Ganzen weltweit hingenommen wird.

Jeder siebte Mensch auf der Erde hungert. Welt­weite Finanz- und Wirtschafts­krisen haben die Zahl steigern lassen, Leben­smittel­spekulationen verschär­fen die Situation weiter. (Quelle)

Ob Spekulationen mit Lebensmitteln – über Warentermingeschäfte, “Futures” und den Handel mit Kontrakten, zu Hungersnöten führen: Darüber streiten sich momentan die Gelehrten.

In der Deutschen Bank und dem Versicherungskonzern Allianz gibt es …  sehr wohl Vorbehalte gegen die Spekulationen mit Nahrungsmitteln. Die Verbraucherorganisation Foodwatch veröffentlichte sechs Papiere aus den Forschungsabteilungen der beiden Unternehmen. Darin warnen Experten, dass Spekulation zu Preissteigerungen und damit zu Hunger führen können. Hauptursachen für die Teuerung sind demnach aber steigende Nachfrage und die wachsende Biokraftstoff-Produktion.

Deutsche Bank und Allianz hatten in den vergangenen Monaten trotz Kritik erklärt, sie wollten weiterhin Agrar-Index-Fonds verkaufen. Zur Begründung verwiesen sie auf eigene Untersuchungen, die keinen Zusammenhang zwischen der Spekulation auf Nahrungsmittel und Preissteigerungen finden konnten. (Quelle; Hervorh. d. A.)

Ein Audiobeitrag bei RDL beinhaltet im Wesentlichen das in der Ankündigung Gesagte:

Der globale Handel ist schon längst nicht mehr nur auf die real existierenden Rohstoffe begrenzt: Völlig losgelöst von der physischen Menge wird Monate im Voraus mit sogenannten “Futures”, d.h. zukünftigen Ernten, spekuliert. Dabei wird ein Vielfaches der tatsächlichen Menge ständig hin- und hergeschoben. Bei diesem Terminhandel werden natürlich Preisschwankungen ausgenutzt – die sowieso bestehenden Trends nach oben oder unten verstärken sich noch mit der Spekulation. Markus Henn von der Nichtregierungsorganisation weed in Berlin ist Fachmann auf dem Gebiet Nahrungsmittelspekulation und macht uns dies am Beispiel von Zucker zugänglich.

Die Preise werden durch den steten Handel und hochfrequenten Computerhandel “hochgeschaukelt” – das ist eine einigermaßen plausible Darstellung; aus den Preisschwankungen werden Preissteigerungen. Das kann so weit gehen, dass trotz guter Ernten und gefüllten Lagern (also gutem Waren-Angebot) die Lebensmittel teurer werden – was wieder auf einen nicht funktionierenden Markt hindeutet, denn eigentlich müsste, wer sich hier verspekuliert, auf der Ware sitzen bleiben, oder sie günstiger abgeben.

Marktegoismen zeigen sich aber auch im kleinen Maßstab:

Spekulation mit Zucker in Bolivien

2010/2011 kam es in Bolivien erntebedingt zur Zuckerknappheit – und Kleinhändler kauften den Zucker zum stattlich kontrollierten Preis bei der staatlichen Lebensmittelkette EMAPA, um ihn auf dem Markt mit sattem(?) Aufschlag – gut 50% –   weiterzuverkaufen. Auch der “kleine Mann” verhält sich marktkonform, selbst wenn dies seinen Companeros schadet. (Quelle)

 

  • So “richtig” spekulieren kann man wohl nur mit Waren, die tatsächlich knapp sind – dann werden sie verteuert und die Spekulation hat sich gelohnt. Wenn man den Lebensmitteln als solchen – zuallererst und am archaischsten dem Brot – noch Respekt entgegenbringt, sollte man den Spruch “Mit Essen spielt man nicht” auch in ein “Mit Essen spekuliert man nicht” abwandeln.

 

Exkurs: Agro-Sprit

Die EU hat sich seit 2006 vom Zucker-Exporteur zum Importeur “gemausert”, es “fehlen” 15% des hier verbrauchten Zuckers, so dass auch die EU einen gewissen Druck auf den Weltmarkt ausüben  dürfte.

Was mit den bisher für die Zuckerrübe, die gegenüber dem Zuckerrohr die ungünstigere Energiebilanz hat, genutzten Flächen geschieht, ist unklar, Wahrscheinlich sind sie “vermaist”: Unsere Landschaften verändern sich; riesige Rundbauten mit grüner Kuppel zeugen von der Energiegewinnung, die für manchen Landwirt ein weiteres “Standbein” darstellt.

Brasilien hat die Zuckerproduktion stark ausgeweitet – wohl zum Schaden der Umwelt – und versucht, sich mit der Ethanol-Förderung vom Erdöl unabhängig zu machen.

Hierzulande hatte

Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) … im August die Aussetzung des E10-Superkraftstoffs gefordert. Der Sprit stelle einen “Konflikt zwischen Tank und Teller” dar. Der Bio-Anteil des Kraftstoffs wird aus Weizen, Zuckerrohr, Zuckerrüben oder anderen essbaren Früchten hergestellt. Gerade bei steigenden Lebensmittelpreisen könne E10 “zu stärkerem Hunger in der Welt beitragen”, sagte Niebel.  (Quelle)

Wie ein ADAC-Sprecher zur Einschätzung

“Das Bioethanol für E10 kommt praktisch vollständig aus Europa”

kommt (gleiche Quelle), bleibt unerfindlich.

Offenbar haben die Banken zu viel Geld, müssen es also irgendwie investieren, wenn nicht verbrennen.

Investitionen in Entwicklungsländer könnten der nächste Schritt werden; wenn Gelder in die Mechanisierung fließen – hier zum Beispiel Zuckerrohr-Vollernter

Bildquelle: Wikipedia.de cc

wäre das für die Zuckerrohr-Tagelöhner eine schwierige Situation, mit den bekannten Folgen: Landflucht, Verelendung…

Auf den Philippinen gibt es eine Insel, die zur Hälfte mit Zuckerrohr bepflanzt ist, man fragt sich, wie lange die Äcker brauchen, bis sie bei den Bedingungen der Monokultur vollständig ausgelaugt sind. Man könnte auch über den Zusammenhang zwischen Kalkulation und Spekulation nachdenken – so groß ist der Unterschied gar nicht: Ein paar Inseln weiter gibt es dort eine garantiert ungefährliche, aber immer noch teure Atomruine; Es wäre genauso interessant, wer dort Equipment und Kredite geliefert hat. Die verantwortlichen Banker haben “bestimmt” mit bestem Gewissen gehandelt.

Interessanterweise sind die in der EU seit 2006 gesunkenen Zuckerpreise nicht bei den gesüßten Lebensmitteln angekommen. Wenn der Zucker teurer wird, wird das beim Kuchen aber sicherlich weitergegeben. Amerikanischen Einflüssen ist es zu verdanken, dass industriell gefertigte Lebensmittel zunehmend Fructosesirup mit hoher “Süßkraft” aber wenig Sättigungspotential enthalten; der Zuckerkonsum ist auf ein gesundheitsschädliches Niveau gestiegen, und wer gewinnbringend spekulieren will, kann langfristig in Pharmaaktien investieren, weil die Diabetes international zunimmt, wie das Übergewicht.

  • Erhöhte Lebensmittelpreise ergeben sich auch aus der Nutzung der landwirschaftlichen Fläche für die Rohstoffproduktion; die Fleischerzeugung in Ländern, die gar nicht genug Futtermittel für das erzeugte Vieh haben, verschärft die Probleme in anderen Ländern.

 

Historische Modelle: Verteilung und Preisfindung für Nahrungsmittel im globalen Maßstab

Historische Beispiele für den internationalen Handel mit Nahrungsmitteln dürften rar sein: Wenn auch für Rom Kathargo die Kornkammer gewesen ist, war das noch längst kein “globaler Handel”, wie wir ihn heute kennen. Es mag zwar Fernhandel gegeben haben – hier spielte sich aber der Handel mit Luxusgütern, Seide, Porzellan, Gewürzen, Weihrauch, Ölen ab; eine noch heute in Afrika existierende “Salzstraße” legt nahe: Hier hat es sich um Karawanen-Handel gehandelt, der je nachdem durchaus auch nennenwerten Reichtum hervorgebracht hat. Tee, Kaffee, Kakao und Zucker als Handelsgüter waren immer noch Luxusgüter und für die Ernährung der Bevölkerung nicht relevant.

Erst mit der Dampfschiffahrt und der Eisenbahn wurde der Transport – und damit Handel – mit Nahrungsmitteln im großen Maßstab möglich. Heute:

“Die alte Seidenstraße war einmal der Weg, auf dem die Schätze des Orients nach Europa gebracht wurden. Heute ist sie der Drogenhighway für afghanisches Heroin.” (Quelle)

Historisch gesehen galt für die Nahrungsmittelproduktion wohl im Wesentlichen: Verzehrt wird, was vor Ort produziert wird. Voratshaltung, um saisonale Schwankungen, aber auch Missernten auszugleichen, ist nachweisbar.

Straff organisierte Herrschaftssysteme lassen sich durch die Theorie der hydraulischen Gesellschaft erklären. Der Ansatz: Verteilt (nach den Bedürfnissen der Bauern(-Familien), den Regeln der Nahrungsmittelproduktion) wird das Wasser, der Bauer produziert, was er kann hat wohl auch heute noch seinen Charme.
Die Bewässerung der Reisfelder machte (macht) koordinierte Gemeinschaftsleistungen erforderlich. Der Ertrag des einzelnen Hofs ist dabei immer auch “der Gesellschaft” bzw. dem Staatswesen  zu verdanken und finanziert diese über Naturalabgaben.
Interessant ist hier auch die Besitzverteilung beim Boden, ob dieser einem Feudalherrn, der Gemeinschaft oder den einzelnen Bauern gehört.

Im weitesten Sinne lässt sich auch das alte Ägypten über das Modell der hydraulischen Gesellschaft erklären, die neben dem Beamtenapparat (wie die chinesische) auch eine religiöse Grundlage hatte und immerhin in der Lage war, neben der Sicherung der Über-Lebensbedürfnisse des Volks auch noch sagenhafte kulturelle Bauten und, was China betrifft, eine “Philosophie”, die hierzulande allerdings nicht so recht allgemein verständlich ist, zu entwickeln.

Wo die Bevölkerung in der großen Mehrheit aus Bauern besteht, die für ihre eigene Existenz sorgt, muss nicht viel Handel getrieben werden. Jeder versorgt sich im Familienverband selbst, bei nicht fortgeschrittener Arbeitsteilung reicht ein wenig Tauschhandel, um alle Bedürfnisse im lokalen Raum zu befriedigen.

Verteilung und Preisfindung für Nahrungsmittel in einem globalen Maßstab – Alternativen

Wenn einige Länder Unmengen an Sojabohnen in Industrienationen, die damit Schweine- und Rindermassen mästen, um einen ständig steigenden Fleischkonsum zu ermöglichen, exportieren, ist für die Welternährung mit diesem Handel noch nichts getan.

Wenn Hunger bekämpft werden kann, indem die lokale Nahrungsmittelerzeugung gefördert wird, sollte man die lokale Nahrungsproduktion fördern, und die Bevölkerung wird sich beteiligen, sobald die nötigen Werkzeuge, Mittel und Methoden bereitstehen.

Zu den Mitteln zählt wiederum Grund und Boden, Wasser, einige Werkzeuge, Saatgut. Dabei ist nur ökologisch angepasste Landwirtschaft, die auf die Umweltbedingungen Rücksicht nimmt, sinnvoll, weil alles andere früher oder später der Landwirtschaft wieder ihre eigene Grundlage entzieht (Verstppung, Versalzung, Erosion). Was “ökologisch sinnvoll” bedeutet, ist von Landschaftstyp zu Landschaftstyp unterschiedlich, und das Wissen darum geht wahrscheinlich mehr und mehr verloren. “Permakultur” ist hierzulande vielleicht mit Hoffnungen verbunden – aber was bedeutet das in einer Savanne? Bei solchen Fragen bräuchte wahrscheinlich auch die Entwicklungshilfe Entwicklungshilfe, aber unlösbar sollten sie nicht sein.
Gartenbau ist eigentlich überall, wo es Licht und Wasser gibt, möglich, in beengten Verhältnissen notfalls als Dachgarten; die klimatischen Verhältnisse lassen sich (Stichwort: Mikroklima) immer beeinflussen.

Wenn regionale Knappheit an Nahrungsmitteln durch Zugriff auf den globalen Markt beseitigt werden soll, setzt das “harte Devisen” voraus, die ver- und überschuldete Länder nun einmal nicht haben.
Nahrungsmittelspenden sind hier nicht die seligmachende Lösung: Mangel- und Fehlernährung sind Gefahren, die neben der Unterernährung nicht übersehen werden sollten.

Essentiell ist die lokale Produktion für den lokalen Markt, daher die Verteilung der für die Produktion nötigen Ressourcen, wozu auch Wasser und Energie gehören. Das braucht einen gewissen Verwaltungsapparat, der im digitalen Zeitalter auch klein gehalten werden kann. Zu bedenken wäre hier die

Bürokratie als herrschende Klasse, ja. Aber diese Einsicht kam mir uneben und in mancher Beziehung in Sprüngen. Meine Beweisführung, daß die asiatische Gesellschaft nicht mit der herkömmlichen marxistischen Elle des Klassenstaates gemessen werden könne, war anfangs naiv und fand anfangs sogar in der Prawda Lob. Erst als Stalin mehr und mehr Macht häufte, wurde der Sprengsatz meiner These, Asien – China – sei ein Arbeiter- und Beamtenstaat, erkannt. Beamte, Beamte! Nicht Kapitalinhaber, als herrschende Klasse! Sie verstehen …

Das kennen wir auch aus Brüssel, wo der Krümmungsgrad von Bananen oder Gurken vorgeschrieben wird. Heutzutage muss eben alles geregelt werden, auch die Bankgeschäfte.

Zucker, der mit dem Etikett “fair gehandelt” versehen ist, soll den  Anbauern die Befriedigung der wichtigsten Grundbedürfnisse im medizinischen Bereich und bei der Ausbildung der Kinder ermöglichen. Das ist eigentlich ein Mindeststandart. Die Preisfindung erfolgt hier jedoch nicht der auf Ebene des globalen Markts, sondern orientiert sich am Mindestbedarf der Erzeuger, und den gewohnten Disbitrutuionskosten hierzulande. Ober der Verbraucherpreis – gefühlt zehnmal so teuer wie herkömlicher Zucker – von den Endverbrauchern noch als fair empfunden wird, erscheint fraglich: “Fairer” Zucker ist ein Nischenprodukt.
Das muss nicht so bleiben, aber Veränderungen sind eine Frage der Ethik und der Organisation, einer effizienteren Organisation.

Die selbstverantwortliche Distribution, organisiert auf genossenschaftlicher Ebene, ist eine reale Option:

… weitgehend unbeachtet von der Politik haben sich vielerorts glückssuchende Menschen auf den Weg gemacht. Sie wollen nicht länger abhängig sein von undurchschaubaren Strukturen, die Pferdefleisch auf Tellern platzieren und den Klimawandel mit unwirksamen Konferenzen zu bekämpfen versuchen. Vielmehr möchten sie die Dinge ihres Alltags wieder verantworten können … .

Überall …  sprießen Initiativen, die kleinteilig und regional angepasst wirtschaften [, hervor]. Ganze Dörfer …  organisieren zusammen ihre Wärmeversorgung, und beim Thema Erneuerbare Energien boomten in jüngster Zeit Genossenschaften. Auch Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaften liegen im Trend: Da wissen die Konsumenten, wie das Huhn gelebt hat, die Produzierenden haben Absatzmöglichkeiten jenseits von Ladenketten, bei denen der Preisdruck die Betriebe zu immer mehr Größe zwingt.

Vielerorts entstehen auch sogenannte Tante-Emma-Läden, die ökonomisch tragfähig sind, weil die Beteiligten kreativ werden. Die Projekte machen Spaß, weil die Beteiligten sie selbst gestalten – etwa wenn pendelnde GenossInnen Lieferungen auf ihrem Nachhauseweg mitnehmen.

Das etwas ausfühlich geratene Zitat zeigt, dass es noch Perspektiven gibt. In diesem Rahmen hätten  auch Mitnahmezentralen ihren Anteil, und Formen der “Selbstorganisation” wie foodsharing.

Zudem kommt es bei dieser Frage darauf an, welche Lebenmittel in welchem Verarbeitungsgrad und in welcher Menge nachgefragt werden.  Seit der Zeit des Nachkriegs-”Wirtschaftswunders” wird jedenfalls aus rätselhaften Gründen zu viel verzehrt, und das Problem “Übergewicht” hat sich international verbreitet.

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