Wenn Journalisten von Mythen schreiben, meinen sie meistens “Lügenmärchen”, wie sie der Baron von Münchhausen verbreitet haben mag, und logisch: Die Sache mit dem Ritt auf der Kanonenkugel glaubt auch keiner.
Wenn also eine unliebsame Geschichte im Raum steht, kann man versuchen, sie als Mythos zu bezeichnen und damit unglaubwürdig werden zu lassen. ‘Etwa: “Das muss doch ein Mythos sein, dass Kaffee, in Einzelportionen in Alu verpackt, irgendwie umweltschädlich sein sollte.”
Vielleicht gibt es von einer Aluminium-Absatz-Förderungsgesellschaft eine passende Presseerklärung, vielleicht soll so eine “Berichterstattung” gefördert werden, die dem Kaffeeanbau vorab eine schlechte Umweltbilanz bescheinigt, um dann die Sache mit den Kapseln als das kleinere Übel erscheinen zu lassen.
“Wer für eine einzelne Tasse Kaffee seine Siebträgermaschine nutzt, verbraucht sehr viel Strom, bis der Apparat und das Wasser aufgeheizt sind – es lohnt sich energetisch gesehen nur für mehrere Tassen. Bei Kapsel-Maschinen ist der Stromverbrauch geringer, vor allem was den Vergleich bei einer einzigen Tasse angeht. Dafür entsteht mehr Müll, Schätzungen zufolge mehr als 5000 Tonnen pro Jahr allein in Deutschland.”
Man tut so, als sei die Alternative zur Hochpreis-Kapsel die “Siebträgermaschine”, der Kaffeevollautomat, aber als gäbe es keine Handfilterung und keine Espressokanne, die ihren Job eigentlich rehct ordentlich tut, in Italiens Haushalten verbreitet ist, während man den “professionellen” Espresso im Café trinkt.
Die SZ blendet den Umweltschaden, der mit der Aluminium-Nutzung verbunden ist, aus; die genannten 5.000 Tonnen Kapsel-Müll werden quasi als vernachlässigbar unter den Tisch gekehrt.
Während wir aus ökologischen Gründen und dem Fortbestand der Menschheit (“Energiewende” als Stichwort) zuliebe überall nach besseren Lösungen suchen müssten, wird hier das bestehende Verhalten rechtfertigt.
Sicher – wenn in einem Auto 600 Kilo Alu verbaut sind, “um Energie zu sparen”, diese Ersparnis aber erst ab 170.000 Kilometern Laufleistung finanziell spürbar wird, hat man die “Leichtbauweise” doch nur gewählt, um keinen “schlecht beschleunigenden Panzer” bauen zu müssen. Die gegebene Begründung der Wahl von Alu war also eine Lüge, genauer: Die halbe Wahrheit.
Weltweit gibt es bei der Alu-Produktion Überkapazitäten, in D “… wird also im laufenden Jahr jeder der … Arbeitsplätze [in den Aluminiumhütten] … mit rund 440.000 Euro subventioniert”, wenn es eine Alu-Lobby neben der Kaffee-Lobby gibt, wird auch die den Alu-Verbrauch anfeuern.
Alu-Kapseln, mit Kaffeepulver gefüllt, dienen auch nicht dem Schutz der Urwälder, sondern die Einzelpackungen lassen sich teurer verkaufen. Das ist also, wie mit dem Mürbeteig: den kann man zwar als “hochelastisch” bezeichnen, aber nur, wenn man dabei lügt.
Einen Mythos von der Bedeutung her als “Lügenmärchen” zu verwenden, ist übrigens hinterlistig gelogen: Denn ursprünglich sind die Mythen Geschichten von Göttern und Helden, die Stationen im menschlichen Leben ausdrücken können – siehe die vielleicht bekannte Odyssee.
Dass Odysseus seine Ruderer angewiesen hatte, sich die Ohren mit Wachs zu vershließen, um selbst, am Mast angebunden, den Sirenenklängen zu lauschen, ist ein Mythos. Der besagt in dieser Sequenz: Es gibt so viele “einfache Wahrheiten”, verführende Gesänge, die uns vom Kurs abbringen wollen.
Soll heißen: Mythen sind keine seichten Geschichten, die mal eben das Müllproblem der Gesellschaft erklären. Oder verleugnen. Mythen repräsentieren aber [unsere] gemeinsame Geschichte – auch zu Europa gibt es einen Mythos, und wir sind, obwohl es auch germanische Mythen gibt, der griechisch-römischen Kultur verhaftet: Götter konnten durchaus als erfunden gelten, waren aber nützlich – als Beispiel, weniger als Vorbild
Wer als Journalist mit Sprache professionell befasst ist, sollte also durchaus verstehen, dass Geschichten und Fakten zum Müllproblem längst nicht der Literaturgattung “Mythos” zugehören.
Beim Kaffee ist die reine Wahrheit: Grüner Kaffee braucht keinen Aromaschutz. Kaffee entwickelt sein Aroma beim Rösten. Man kann Kaffee am Ort des Verbrauchs rösten, und in kleinen Chargen, die bis zum Verbrauch noch das meiste Aroma haben. Die Aromastoffe des Röstkaffees zerfallen, auch in einer Kapsel, mit einer relativ kurzen Halbwertszeit, die Mär vom vollen Kapselaroma ist also meist eine Lüge.
Wer heute die Kaffeekapseln gesellschaftsfähig macht, ignoriert das gigantische Verpackungsmüllproblem in seinen Alu- und Plastikfacetten insgesamt:
‘Ist doch gar nicht so schlimm’ sagt man und macht weiter. (Aus einem Leser-Beitrag in der SZ)
Nachtrag 1:
Aluminium in Verpackungen ist kein Mythos, sondern Realität.
Wenn Aluminium im Flugzeugbau nicht mehr wegzudenken ist, sind auch Flugzeuge nicht mehr wegzudenken. Mit Freiheit der Gedanken hat das aber nichts mehr zu tun, auch, wenn Aluminium als Lebensmittelverpackung nicht mehr wegzudemken ist.
Somit hat der Zeitungs-Schreiber keinen Müll-Mythos beschrieben oder geschaffen, sondern Mysth für den Müll.
Nachtrag 2:
Die Rede vom recycelten Aluminium ist schön, klingt gut, ist aber irrelevant, wenn für die Kapseln doch “primäres Alu” verwendet wird.
Werden die Kapseln wieder verwendet, ist das Kaffeepulver natürlich störend. Angeblich wird es per Pyrolyse entfernt – feuchtes Kaffeepulver wird in heißem Milieu in Gas verwandelt…
Was die Kapsel-Dealer unter den Tisch fallen lassen, ist die Information, dass das Kaffeemehl im Boden ein wichtiger Rohstoff, Bodenverbesserer sein kann, könnte – aus Alu-Kaffeekapseln aber wird nie und nimmer Kompost.