Das erwünschte Hochgefühl wollte sich bei Annelie Schmidtchen anlässlich der dritten “Beratungssession zur betrieblichen Mitarbeiterernährung unter Berücksichtiguntg nachhaltig-ökologischer und medizinisch-ernährungsgesundheitlicher Aspekte” nicht von Anfang an einstellen.
Die Unternehmenssoziologin, die für eine englische Großbank, die in Frankfurt am Main eine Zweigstelle (im Vertrauen hat Annelie mir eröffnet, dass es um den Neubaus eines mittleren, aber schlanken Hochhauses gehen wird) eröffnen will, das Terrain sondieren und vorbereiten soll, hatte unspezifische Probleme mit meinem Essig…
“”Ästhetische Bedenken” kommen mir bei so einem Etikett – und das ist noch milde ausgedrückt. So etwas geht ja mal gar nicht – das ist, wie wenn Du Banknoten in einem Kindergarten zeichnen lässt! Es kann ja sein, dass Deine Wein- und Bieressige ganz g’sund & mild sind, aber so kannst Du sie nicht in den Verkehr bringen!”
Das war jetzt Annes ungeschminkte Meinung. Zwischenzeitlich hatte ich ihr ein Foto einiger Etiketten-Entwürfe geschickt,
und von der Idee erzählt, aus dem hausgemachten Essig eine Geschäftsidee zu entwickeln, begleitet von neuartigen Rezepten, etwa einem Bieressig-Handkäse-Kartoffelsalat-Rezept, beispielsweise für die Betriebskantine ihrer Banker aus dem Königreich…
Ich versuchte, das Thema zu wechseln:
“Es gibt ganz klar auch entspanntere Verfahren, sich leckerer Ernährung anzunähern”
meinte ich in Anspielung auf das Klink/Nett-Duo, aber diesem Vorbild
mochte Anne auch nicht nacheifern – zum Einen dürfte der “Kampf gegen das Übergewicht” nicht vergessen werden, zum Anderen macht ihr die gegenwärtige politische Entwicklung Sorgen:
“Jetzt haben wir bald einen im Wortsinne vielversprechenden sozialdemokratischen Kanzler – und was wird uns diese Entwicklung bringen?”
Mich interessiert das eigentlich weniger – ich hatte allerdings auch die Frage falsch verstanden und auf den Bankensektor bezogen -
“Wir haben eine Staatsbank, Genossenschaftsbanken, christliche und muslimische Geldinstitute, könnten mit Bitcoins bezahlen, und während so ein Spitzen-Banker einmal blinzelt, hat er so viel verdient, wie ich im Jahr zusammenbekomme.
MEGA bedeutet meines Wissens “Marx-Engels-Gesamtausgabe, und so ein Poster zur Wahlkampferöffnung – da komme ich nicht mehr mit.
Vieleicht ist das ja auch eine versteckte Koalitions-Einladung an Frau Wagenknecht, die von “Marxismus” ein bisschen Ahnung haben sollte, speziell vom Fetisch-Charakter des Geldes, in dem sie als Berufspolitikerin und Bestsellerautorin baden kann?”"
Aber Annelie meinte gar nicht den Finanz- und Bankensektor, sondern die Gesundheit der darin Beschäftigten, speziell ihrer neuen Kollegen.
“Stress“, meinte ich also;
“Stress ist der Krankheitsverursacher unserer Zeit. Vermeidet Stress, führt ein sinnvolles Leben, und alles wird gut. Die Ernährung ist fast schon sekundär – obwohl: “Die Nahrungt sei Deine Medizin” gilt wahrscheinlich noch immer, und dieses “Der Mensch ist, was er isst” kommt ja auch von einem Sozialdemokraten der Frühzeit, damals hatte die Arbeiterschaft noch ihre eigenen, selbstfinanzierten Philosophen – man kann aber auch positiven Stress empfinden, drei Stunden am Tag vor Fernsehkameras, Interview- und Selbstdarstellungssituation als positiv erleben…
Das ist dann euphorisierender Stress, und so ein Plausch mit Anne setzt sicherlich viel Oxytocin frei – oder auch der Plausch mit Martin, bei Frau Will”.
Eine Weile herrschte Schweigen zwischen Annelie und mir – kreatives Schweigen, das man als Berater auch mal ertragen muss, wenn der Klient etwas verarbeitet oder Worte sucht – woraufhin Annelie ihre eigentliche Angst ansprach:
“Muss ich mir wegen Trump Sorgen machen?”
“Ja – die Politik: Trump macht mir mehr Sorgen. Jemand, der eine Perönlichkeitsstörung hat und in einem Atomkrieg den rote Knopf bedienen könnte —???— es heißt doch, er leide an “Narzissmus” – wie siehst Du das denn?”
Wie ich das mit “dem Narzissmus” sehe, das wechselt, bezieht sich auf unterschiedliche Ebenen, Schichten, Regionen, Situationen, “Stufen” - aber ich wollte versuchen, auch “alternative Fakten” zu präsentieren:
”Sieh es einfach genetisch – also nicht rassistisch… Versteh’ mich bitte nicht falsch: Was hat dieser Mensch für Gene, dass ihm mit 70 Jahren noch eine blonde Mähne über die Stirn hängt? Ist da ein besonderes Erbgut beteiligt? Eine Frage wäre, ob er daraus Gefühle der Überlegenheit anderen Menschen gegenüber ableitet – belegt ist ja, dass er sich über einen Journalisten mit Körperbehinderung lustig gemacht hat, also sich nicht an soziale Übereinkünfte hält.
Ansonsten: Übertriebene Selbstbezogenheit und Selbstverliebtheit als Merkmal unserer Gesellschaft wird häufig genannt, allenfalls statistisch “belegt” – wissenschaftlich gesehen ist das dünnes Eis, auf dem ich nicht tanzen möchte. Manche leiten aus dem “Duktus einer Rede” Aussagen über den Charakter des Redners ab – das ist doch kein haltbares Verfahren!
Meinetwegen soll Mr. President Fischsuppe essen statt Hackbraten, das Omega-Öl, Du weißt doch, kann die Gehirnfunktion beflügeln, und schadet eigentlich nie…”
Annelie wusste aber nichts von Fisch-Fett und Gehirnfunktionenen, Omega-Ölen und Depressionen, Ernährung und psychischer Gesundheit. In ihrem Soziologiestudium waren diese Themen weiße Flecken auf der Landkarte gewesen, aber wir wollten das Thema für heute ausklammern.
Stattdessen lenkte sie die Aufmerksamkeit auf das “Taufphänomen“:
“Das ist zwar nicht wirklich zu beweisen, greift aber auf das römisache Sprichwort “Nomen est omen” – sinngemäß “Namen sind Schicksal” zurück: Schon in der Namensgebung drücken sich die elterlichen Erwartungen, auch die Gefühle für (oder auch gegen) den Säugling aus.
Die Trumps waren ja Aufsteiger, Neureiche, dem Familienleben konnte neben und nach den Geschäften eigentlich nicht mehr viel Energie zufließen, aber es gab eine Reihe von Kindern, dabei eben jener “Donald”.Bei “Donald”, auch bei – “Donald Trump” muss ich unwillkürlich an “Donald Duck” denken, als hätte Trump Senior den Wunsch, dass der kleine Schreihals “den Schnabel” hält, aber auch mal redet, “wie ihm der Schnabel gewachsen ist”. Schon bei der Namensgebung wird die Persönlichkeit geprägt, werden Erwartungen, Forderungen “gesetzt”.
Dann wissen wir noch, dass Vater (Lincol) und Mutter (Rolls-Royce) Autos liebten, und vielleicht waren auch die “mit dem goldenen Löffel im Schnabel geborenen Kinder” Statussymbole; Donald erhielt eine frühe Ausbildung zum Schuldeneintreiber, zeigte sich mitleidlos gegenüber dem suizidalen Bruder, sein Lieblingsessen: “Hackbraten mit Kartoffelbrei” deutet auf einen verwöhnten Lebensstil (wenig kauen (!)) hin, die “Vergötterung” des Familien-Namens steht für wenig eigene Identität hinter der Familienehre, aber natürlich müssen wir diesen Donaldismus vor allem systemisch verstehen, denn gewählt worden ist Mr. President ja von Frauen, die den Einsturz des World-Trade-Centers nicht verkraftet haben, die hoffen, mit dem “Rambo auf der politischen Bühne” als die eigentlichen Lenkerinnen und Fäden-Zieherinnen im Hintergrund ihren Machtverlust wieder zu kompensieren, ohne dafür selbst den Kopf hinhalten zu müssen, sprich: Verantwortung zu übernehmen”.
Diesmal “gönnte” Annelie mir die kreative Gesprächspause, was mir ein Gefühl des Geplättet-Seins allzu wahrnehmbar machte; immerhin fiel mir dabei die obige Überschrift ein…
Ich musste ihrer Interpretation im Großen und Ganzen zustimmen, behielt mir aber vor, sie als Satire zu kennzeichnen und “irgendwie monochrom” zu empfinden, merkte auch an, dass Manches, das wie eine tote Konserve aussieht, in Wirklichkeit lebendig und am Gären ist;
“Wenn “Amerika muss wieder großartig werden” sich als Schuss in den Ofen herausstellt, wenn die Amerikaner trotzdem, ohne der Vergangenheit nachzutrauern, ihre Geschichte verarbeiten, wenn Hollywood wieder einen Buster Keaton, der den Bürgerkrieg auf die Schippe nahm, feiert, das Mexico-Mauer-Projekt als Wahnsinns-Idee fallengelassen wird und die “Fermentation-Nation” Ernst macht mit dem Sauerkraut-Stampfen, wieder nach den Regeln spielt, die Zukunft …”
Annelies bedrücktes Kopfnicken zeigte mir an, dass ich gar nicht weitersprechen sollte.
“Zu viel “wenn” für heute, ich weiß”, meinte ich, und Annelie, die ihr Smartphone in ihrer Handtasche verstaute, leitete damit für heute unseren Abschied ein. Mir wurde, beim Gedanken an Buster Keaton,
wie grundlos melancholisch zumute, und ich gab Anne noch die eine Essig-Flasche mit, an deren Etikett
ich den “halben Sonntag” gefeilt hatte.
“Kitchen-Fiction & Big Business”: In der nächsten Folge der Küchen-Fiktionsreihe mit Annelie Schmidtchen geht es wirklich um die Zaubersauce, Geschäfte mit der Gesundheit, kulturelle Wurzeln und die Lizenz zum Abnehmen. Verpasse nichts! Solange es die Serie gibt – lies mit, wenn es heißt “Frau Schmidtchen wirft Ballast ab”!
Die bisher erschienen “Kitchenfiction mit Annelie Schmidtchen”-Beiträge stehen noch kurze Zeit zum Nachlesen bereit, aber das Beste ist: Die Artikelserie wird fortgesetzt!
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