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Arbeitsessen mit Annelie – Wenn Arbeit zum Vergnügen wird

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“Weißt Du, eigentlich hab’ ich die Politik reichlich satt. Nur wegen meinem Soziologie-Diplom bin ich in die Stituation gekommen, bei der Konzeption einer Kantine sozio-ökonomische und sozial-psychologische Zusammenhänge einbeziehen zu müssen – Andere in der Bank zocken heiter-vergnügt mit Börsenkursen und Derivaten, spekulieren mit Rohstoffen, spielen also das Monopoly-Spiel und werden dafür bezahlt, aber ich als “freie” Mitarbeiterin darf im Hintergrund eine Arbeit leisten, die von den Meisten gar nicht wahrgenommen wird.”

Ob Annelies miese Stimmung mit den Verhältnissen bei der Frankfurter Eintracht zusammenhing, oder mit dem Wetter (auch die Frühlingsdepression zählt zu den zeitweiligen Störungen, die unter “Seasonal affective disorders”, SAD gelistet werden) – so ganz genau wollte ich das alles gar nicht wissen, fragte trotzdem, was ihr fehle.

“Ich habe seit dem Frühstück – und das fiel aus Zeitgründen nur “mager” aus – nichts gegessen, und mein Problem heißt HUNGER; Ich BRAUCHE etwas zu essen, HERR Diätberater!!!”

“Musik in meinen Ohren” war das nun nicht direkt, aber ich glaubte zu wissen, was zu tun war.

Dinkelteig-Taschen mit Vollkorn-Bröseln

Statt ihr verbal zu antworten, ging ich zum Kühlschrank, nahme einen Krug mit Gemüsebrühe heraus, goss sie in einen kleinen Topf, stellte den auf den Herd und schaltete die Platte an.

Ich ging erneut zum Kühlschrank, öffnete das Gefrierfach, holte eine flache Dose heraus und fragte Annelie, wie ihr der Inhalt gefalle.

Annelie war den Dinkel-Teigtaschen mit Käse-Avocado-Vollkornbrösel-Pilzfüllung in Brühe gegenüber nicht abgeneigt, und die Aussicht, in knapp zehn Minuten eine warme Supe zu bekommen, wirkte Wunder, was ihre Stimmung betraf.

Annelie musste sogar lächeln, als ich mich entschuldigte, ihr keine Suppe als Vorspeise zur Suppe anbieten zu können – einen Tag zuvor hatte es noch Spargelsuppe gegeben, dafür war sie zu spät, aber sie kennt ein Lokal in idyllischer Lage und will mich vielleicht einmal zum Spargelessen einladen – eigentlich sind wir ja auch noch in der Vorsaison…

Ich bedankte mich für die unverbindliche Einladung nicht weniger höflich als sie, als ich die Teigtaschen servierte und guten Appetit wünschte, freute mich, als sie meinte, dass es schmeckt, äußerte auch, dass ich doch gerne helfe, ließ ihr aber auch Zeit zum Löffeln.

 

Formlos

“Informell” nennt man auch ein Verhalten, dass gegebenen Regeln nicht entspricht, und somit konnte ich in Form eines Küchen-Papiertuchs eine informelle Serviette “überreichen”; damit war dann auch Annelies Zwischenmahlzeit beendet, ich räumte ab, das Thema “Ernährung” blieb auf der Tagesordnung.

Rumpelstilzchen - "Stroh zu Gold"

Annelie wollte wissen, ob die Teigtaschen jetzt eine “ballaststoffreiche Mahlzeit” gewesen seien – zum Verkauf von Ballaststoffen als “Nahrungsergänzung” in Form von Ballaststofftabletten meinte sie, nichts mehr ergänzen zu können.

Die Kunst, aus Stroh Gold zu machen, gebe es tatsächlich nicht nur im Märchen, sondern auch im Handel mit “Nahrungsergänzungsmitteln”, wobei das ja keine rechte Kunst sei, sondern genau genommen eine Frechheit.

Ich ging zunächst auf den Begriff der “”ballaststoffreichen Mahlzeit” ein:

“Nein, das war Deine Suppe nicht direkt, eher “weniger ballaststoffreduziert” würde ich sagen. Aber eine Diskussion des Themas findet praktisch garnicht statt, und wenn, ist sie irgendwie vorurteilsbehaftet.

Häufig sind die ExpertInnen sich bei der Bedeutung der Ballaststoffe einig – was die Theorie betrifft. Aber wenn sie dann in der Lebensmittelindustrie Verantwortung tragen, kommt Tiefkühlpizza mit Weißmehl heraus. Das Warenangebot orientiert sich am vermeintlichen Geschmack des Publikums und beeinflusst diesen wieder.
In den Anfängen der Zuckerbäckerei war diese den Reichen vorbehalten, damals muss sich der Gedanke herausgebildet haben, mit Vollkornmehl geht vielleicht ein Hefekuchen, aber keine dreistöckige Hochzeitstorte, Weißmehl zu gebrauchen sei ein Zeichen, zum Kreis der Priviligierten zu gehören”.

Annelie teilte meine Einschätzung, dass ein schlichtes Essen wie “Schmorkartoffeln, mit Käse überbacken” bei keiner Küchscnschlacht einen Blumentopf gewinnen könne – “… und wenn ich es richtig verstanden habe, geht es letztlich um mehr als einen symbolischen Blumentopf, nämlich um einen fünfstelligen Betrag!”

“Willst Du damit sagen, dass 25.000 für den besten Hobbykoch der Republik unangemessen sind?” fragte ich.

“Es geht doch nicht um angemessen im Sinne von “Gerechter Lohn für ehrliche Arbeit”. Das ganze Konzept Küchenschlacht & Co. ist doch nichts als das Klischee vom guten Essen!”

Annelies Pause bedeutete indirekt, dass ich jetzt auch meine Meinung sagen sollte, und ich verwies auf die Alltagspraxis:

“Ja, die tun so, als würden sie alltäglich in einer Turbo-Umgebung Sonntagsessen auf den Tisch bringen. Pannen dürfen nicht vorkommen, und wenn alle Kandidaten perfekt waren, wird in den Krümeln gesucht, oder ein fingiertes Haar in der Suppe gefunden…
Einer scheidet immer aus – so steht es im Regelwerk, das ist kein Spiel (als Spiel wäre es ein blödes Spiel, da wäre “eine Reise nach Jerusalem lustiger), das ist der “Ernst des Lebens”, da werden die Leistungsanforderungen so hochgeschraubt, dass keine Zeit bleibt, auf den Nachbarn zu achten, und Zusammenarbeit ist tabu.

Im "Küchenschlacht"-Kochstudio: Die Sendereihe hat weit über 2.000 Folgen produziert. Der Teilnehmer mit den meisten Punkten macht richtig Geld - während die wirklich besten Hobbyköche der Republik vielleicht auch die Medienpräsenz scheuen - Was soll auch ein Koch im Fernsehen?

Bild Wikipedia, CC BY-SA 3.0 mit Änderungen an Bildausschnitt, -Größe und Kontrast.

Der unsichtbare Lehrplan dieser Sendungen bedeutet: “Pass Dich an, leiste etwas, die Anderen sind Konkurrenten und Du musst zumindest so tun, als würdest Du sie respektieren. Sei ein Einzelkämpfer! Sei Gladiator in der Küchenarena!
Dafür bist Du ein Star (für kurze Zeit) und gibst uns, was Du kannst, dafür bekommst Du Achtung, Anerkennung und Aufmerksamkeit (auch auf Zeit und nicht umsonst).”

  • Zum Klischee vom guten Essen gehört das fürstliche Mahl, das regionale Leibgericht, vielleicht auch das Slow-Food-Traditionsgericht
    - war für diesmal unsere erste These, zu der aber noch die Antithese zu finden war ;-)

Hinsichtlich “Wirsing mit Kartoffel und gelben Linsen in Gemüsebrühe mit einer geheimen Zutat” entwickelten wir die Idee, dass ein global denkender Banker, der ein (was die Kosten für die Zutaten betrifft)  “Arme-Leute-Essen” zurückweist, im Zeitalter der Globalisierung doch den Beruf verfehlt haben müsse – und wahrscheinlich die Bank (deren Kantine) die Aufgabe hat, ihm den Weg zur Bescheidenheit oder zu einer anderen Aufgabe zu weisen.

Im Zeitalter der Globalisierung kann Empathie sich nicht auf den eigenen Gaumen beschränken,  sollte die Aufmerksamkeit auch dem Rest der Welt gelten,  den Mitmenschen, und der Natur überhaupt.

Das Stichwort “Zeitalter der Globalisierung” griff Annelie jetzt auf:

“Wenn ich auch die Nase gestrichen voll habe von Politik – Politikwissenschaft habe ich  nur vier Semester studiert, und “Marxismus” habe ich mir dabei auch reingezogen, eine Einführung wenigstens – da hieß das “Zeitalter des Imperialismus” und war “einfach” der Kapitalismus in seiner entwickelten Form, die “Imperien” hatten den Rest der Welt als Kolonien eingteilt.

Von der Theorie her erwartete die “marxistische Linke” den Zusammenbruch des Systems, erklärte das Ausbleiben des  Zusammenfalls mit dem Ausbruch des Faschismus, der, wie im Mittelalter die Pest, in diesem Prozess auch mal vorkommen kann, aber dann wird gern auch wieder die Demokratie genommen, um die Wogen der Systemkrise zu beruhigen. Spezialdemokraten untergraben dann mühsam aufgebaute Sozialsysteme, behaupten, sich dabei hartz aber fair zu benehmen, bereiten eine konservative Regierung vor und begleiten sie, merkeln kaum, wie schnell 16 Jahre vergehen – dann kommt der Wille zur Macht und die Koalition mit Grün, weil “Rot” ist ja igitt.”

Ich habe zwar nichts gegen Tabak, aber zu viel starker Tabak bringt selbst den stärksten Teufel um – andsererseits war zu ahnen, worum es Annelie eigentlich ging: Die aktuelle Lage, Krise, und die sozialdemokratische Hoffnung, dass der 100-prozentig akzeptierte Martin die Lösung der Gerechtigkeitsfrage findet, meinte aber nur:

“”Die richtige Lösung für dieses Problem” habe ich leider, leider nicht zu bieten. Es ist leicht, bedeutsame Texte hierzu zu finden – die zu verstehen, ist es nicht. “Die Krise” – das ist ein globales Problem, mit Gewinnern, Verlierern, mit Profiteuren und mit Ausgebeuteten. Mit Tätern und Opfern, und die Grenzen verschwimmen. Die Hoffnung auf Gerechtigkeit – dieser Wunsch, einen “Erlöser” zu küren sehe ich als Symptome der Krise, aber nicht als die Heilung.”

 

Annelie hatte im Archiv den Artikel über Hofreiter gefunden, meinte, der müsse dann wohl Landwirtschaftsminister werden, sei immerhin vom Fach und tolerabel, weil kein Veganer.

“Die Merkel” in die Rente zu schicken, sei ihrem Bauchgefühl zufolge schon fast inhuman, “… vielleicht Weiterverwendung als zum Beispiel Sonderbotschafterin, Chefredakteurin oder Ressortleiterin, oder so”?

Martin Schulz als symbolischen Messias zu interpretieren, fand sie unangemessen, und überhaupt sei das alles viel zu vage – sie begann mal wieder, sich in Rage zu reden:

“Profiteure – warum konkretisierst Du das nicht? Und wo, bitte, sind denn die Verlierer, wenn jeder, der nichts hat, zum Sozialamt dackeln kann und Hilfe findet, sogar, wenn er nur auf der Durchreise ist? Betteln muss doch niemand in der BRD, und ob der seine Stütze in Alkohol oder in ein gutes Frühstück investiert, ist seine freie Entscheidung!”

Klar – sie wollte nur mal sehen, ob ich mich provozieren lasse. Solche Tiraden gab es ja wirklich, und, sie sachlich zu widerlegen, wäre nur bei einer gewissen Gesprächsbereitschaft der “wütenden Persönlichkeit” möglich. Ich stimmte, was den Punkt “leistbares Frühstück” betrifft, mit dem Foto eines persönlichen Ausnahmefrühstücks zu:

“Aber klar ist auch, dass “Croissant, mit Aufstrich und Marmelade der “Extraklasse” nicht für jedermann leistbar – und wahrscheinlich auch nicht allzu gesund ist.

Hast Du – wenn Du Windows und vielleicht das eine oder andere Office-Programm benutzt, schon mal darüber nachgedacht, was Dein Beitrag zu Bill Gates’ Vermögen ist?
Vor nicht allzu langer Zeit hat der noch dysfunktionale Programme zu Preisen, als müsste man sie in Gold aufwiegen, verkauft – dabei ist Software beliebig reproduzierbar, der Preis (oder Wert?) der Kopie eigentlich künstlich…

Wenn außerdem ein anderer der reichten Männer der Welt – es ehrt ja Euch Frauen, dass es nur eine Männer-Liste für dieses Gebiet gibt – seine Milliarden mit “Urlaub”, mit Kreuzfahrten und sonstigen Fernreisen gemacht hat: Ist das eigentlich normal?”

Annelie mochte keine rhetorischen Fragen. Kreuzfahrten mit Massentransportern findet sie entartet, und Bill Gates ist für sie, streng genommen, ein Beutelschneider. Sie hat schon Geld für Gates-Software ausgegeben, aber war der Meinung gewesen, mit dem Zugang zu den Programmen und zum Internet an “irgendeinem gesellschftlich-kulturellen Fortschritt” teilzunehmen, “alleine schon, sich mit einem piepsenden Modem einzuwählen, war spannend” und Tetris auch.

Diese Erfahrungen hatte ich auch gemacht, und teilte sie gerne mit:

“Irgendwie wirtzig finde ich diese Koch-CDs, die es damals zu kaufen gab – Rezeptsuche nach Zutaten und allerlei Gimmiks. Heute gibt es die gar nicht mehr, hat sich alles ins Internet verlagert. Auch beim Kreuzfahren geht es ums Essen und Trinken, Aber auch um Medien, ums Zuschauen und wenigstens indirekt teilnehmen – ich sage nur “Traumschiff”.

Vielleicht könnte man ja aus der nachhaltigen Banker-Kantine das Konzept für ein humanes Schiffurlaubserlebnis ableiten, bei dem die strikte Trennung in schuftendes Personal und passiv genießenden Gast aufgehoben ist? Das ist aber eine Frage der Investitionsstrategie.

Annelie dachte an “Segelschiff 2.0″, wollte und konnte den Gedanken monmentan aber nicht vertiefen, sondern schlug vor, zum Abschluss noch in aller Ruhe einen Tee zu trinken;

“Mir schwirrt sonst nur der Kopf – als ich mich gerade gefragt habe, ob es vielleicht synergetische Effekte hinsichtlich Anerkennung des “Erholungsbedürfnisses” und dem Slogan “Kraft durch Freude” gibt,  kam ich schon ins Zweifeln, ob ich jetzt noch klar denken kann”

Eine Pause entsprach auch meinem Bedürfnis, und wir kochten den Tee gemeinsamt, denn Annelie hatte gesagt: “Ich komme mal mit in die Küche!”

 

 

 

Liebe LeserInnen,

mit Annelie Schmidtchens Kitchen-Fiction schlagen wir ein neues Format der Diät-Unterhaltung auf und fügen uns in die Sommerzeit:

Gesellschaft und Leiblichkeit

Farbfotografien leckerer Lebensmittelzubereitung, Super-Rezepte zum Abnehmen, garnierte Geschichten, die sich um Lebensmittelklarheit und -Aufklärung ranken, unter dem Banner des Selbstbestimmungsrechts auf dem eigenen Teller.

  • Beim Neubau einer englischen Großbank in Frankfurt am Main ist Annelie mit der Konzeptionierung und Planungen sowie Entwürfen für eine bedürfnisorientierte Mitarbeiter-Kantine beauftragt.

Wir decken schoningslos die schlimmsten “Diätlügen” auf  und bieten bekömmliche Alternativen zum grauen Grausen der langweiligen, ungenießbaren herkömmlichen Diät-Rezepte.

Die bisher erschienen “Kitchenfiction mit Annelie Schmidtchen”-Beiträge  stehen noch kurze Zeit zum Nachlesen bereit, aber das Beste ist: Die Artikelserie wird fortgesetzt!

 

 

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