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Der Ballaststoff – Wissens-Ballast, Ballaststoff-Tabletten und der gestorbene Appetit

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Besser wäre es, wir wären relativ unwissend und dafür gläubig: Ballaststofftabletten wären der Verkaufshit, Exportschlager und Konjunkturmotor. Mit ein paar Gramm Oligofructose, Apfelpektin und Flohsamenschale aus dem Tablettendöschen das Gewicht halten oder überschüssige Pfunde loswerden, sich schneller satt fühlen, über die ideale Ergänzung zur Diät verfügen – wäre das nicht traumhaft?

Wenn sich die “Ballaststofftabletten” aber nicht wie geschnitten Brot verkaufen, wird das am gesunden Misstrauen der Kundschaft liegen, oder dem Preis-Leistungsverhältnis – oder der Gleichgültigkeit gegenüber einer Botschaft wie dieser:

Ballaststoffe und Sättigungsgefühl

Untersuchungen belegen, dass Menschen mit ballaststoffreicher Diät schneller abnehmen als Menschen mit ballaststoffarmer Diät. Dies geschieht durch den Effekt von Ballaststoffen auf den Appetit. Ballaststoffe verringern die Esslust dadurch, dass sie in der Nahrung länger im Magen bleiben und so ein Sättigungsgefühl hervorrufen. Des Weiteren sorgen sie dafür, dass im Darm weniger Fett aufgenommen wird. Ballaststoffe sind in Gemüse, Obst, Getreideprodukten und Kartoffeln enthalten. …

Die Botschaft ist so alt (und schlampig formuliert), dass selbst Lieschen Müller sie auswendig aufsagen kann, und doch irgendwie falsch, denn Lieschens Erfahrungen mit Haferkleie – das war dann doch nicht die totale Sättigung, der Nahrungsbrei blieb beileibe nicht länger im Magen, sondern wurde insgesamt schneller durchgeschleust, und der Appetit auf “Süß und fettig” erwies sich als Kleie-resistent.

Also weg mit dem Ballast?

Ja -Weg mit dem gedanklichen Muff, Müll und unverdaulichem mittelalterlichem Denk-Ballast!

Warum ich hier in die Kiste mit den etwas schärferen Wörtern gegriffen habe, ist schnell gesagt; es lag an dieser Aussage zum Abnehmen, die als alte Leier wieder und wieder zu hören ist, von Generation zu Generation weitergegeben und nie reflektiert (Zitat):

ich bin davon überzeugt, mit ein wenig Disziplin und Durchhaltevermögen, kann man alles erreichen!

Wer so etwas vom Podest der Selbsterhöhung, von der Kanzel der preußischen Disziplin nach unten hinab mit viel Ausdauer predigt, will nicht unser Wissen vergrößern, aber unsere Moral steinigen. Das schwache Fleisch stählen, das bei Heißhunger einen Fress-Anfall bekommt. Beten wir, dass die Predigt ankomme, und nicht nur die Priesterin erhebt.

Während die Abnehmpriesterinnen samt Magenfüllern in den siebten Abnehmhimmel entschweben, verteile ich mal rasch

Die Neue Frohe Botschaft

Einfach abnehmen mit zehn Prozent weniger Appetitt

- lass das mal die Bazillen machen!

 

 

Das sind jetzt im Wesentlichen zwei Punkte:

Erstens: Der Appetit

Machen wir uns nichts vor: Hunger und Appetit sind keine objektiven Größen, und Du kannst objektiv satt sein, aber trotzdem einen Riesenappetit, eine “unheimliche” Lust auf irgendetwas haben, oder bekommen  – das passiert beim Food-Blogs-Lesen, beim Werbefernsehen, bei bestimmten Gerüchen, Launen, Stimmungen, der Appetit kommt beim Essen oder entsteht aus eher unbewussten Gründen. Er kann sehr herrisch sein und unbeugsamer als Dein schwacher Wille, Deiner Diät oder den Vorschriften der Abnehm-PriesterInnen zu folgen.

 

These:

Wenn wir zehn Prozent weniger Appetit

haben und nicht alles falsch machen,

essen wir auch zehn Prozent weniger

und nehmen ab

-> wie von eiserner Disziplin beherrscht <-

 

 

Zweitens: Die Regulation des Appetits

Aus eigener Erfahrung wissen wir so Manches über unseren Appetit, aber längst nicht alles, und auch die Wissenschaft braucht noch Zeit, ist aber deutlich weiter als Lieschen Müller.  Wir regulieren unseren Appetit gar nicht selbst, die Appetit-Regulierung findet nicht im Magen statt, hat aber indirekt etwas mit dem Darmhirn zu tun, mit Fermentation, und auch mit den wundersamen Ballaststoffen:

Wie sich zeigte, gelangen … Abbauprodukte fermentierter Ballaststoffe über den Blutkreislauf bis ins Gehirn. Dort reichern sie sich vor allem im Hypothalamus an – einem für die Steuerung unseres Stoffwechsels und Hungergefühl wichtigen Zentrum. “Das ist das erste Mal, dass eine solche bevorzugte Aufnahme von Acetat in den Hypothalamus nachgewiesen wurde”, sagen die Forscher. Als Folge dieser Aufnahme stieg kurz darauf der Gehalt eines appetithemmenden Neuropeptids um das Vierfache an. Andere Botenstoffe wurden deaktiviert. “Diese Daten demonstrieren, dass es einen zuvor unbekannten Mechanismus gibt, durch den die Fermentation von Ballaststoffen das Körpergewicht beeinflusst”, konstatieren Frost und seine Kollegen.

Dieses Zitat aus einem kürzlich veröffentlichten Artikel ist in der Abnehm-Diskussion eine Bombe mit brennender Lunte: “Der Tod des Appetits” -  so reißerisch (und in der Form überhaupt nicht glaubhaft) hatte eine Boulevard-Zeitung den Schlüssel zum Abnehm-Problem genannt.

Wer jetzt noch behauptet, Ballaststoffe machten schlank, der Wille könnte den Appetit einstellen oder gesunde Ernährung – zum Abnehmen – sei morgens Nutella und abends Eiweiß befindet sich im wissenschaftlichen Mittelalter, mit einem Kopf voller Ballast – daher die Redeweise “thick as a brick“.

Sicherlich ist die Studie, die sich mehr den Acetat-Wirkungen als den Bedingungen der Acetat-produzierenden Fermentation widmete (“Increased intake of dietary carbohydrate that is fermented in the colon by the microbiota has been reported to decrease body weight, although the mechanism remains unclear. … observations suggest that acetate has a direct role in central appetite regulation.) nur ein Puzzlestück im Gesamtbild, aber ein ungemein wichtiges.

Wir wissen jetzt, dass unseren Appetit nicht allein (über die Nahrungsaufnahmen. Stimmung usw.) regulieren, sondern dass hierbei auch unzählige Mikroorganismen mitmischen, und ahnen, welche Schlussfolgerungen daraus zu ziehen sind.

Update:

Aus einem Newsletter der Harvard Medical School:

Fiber comes in two forms: insoluble fiber, the kind found in whole grains, and soluble fiber, found in beans, dried peas, oats, and fruits. Soluble fiber in particular appears to lower blood sugar levels by improving insulin sensitivity, which may mean you need less diabetes medicine. And a number of studies suggest that eating plenty of fiber reduces the chances of developing heart disease — and people with diabetes need to do all they can to lower their risk.

Die löslichen Ballaststoffe werden hier als als noch nützlicher als die unlöslichen Ballaststoffe angesehen. Was folgt daraus? Womit bindet Ihr demnächst die Saucen?

- Fortsetzung

  • Natürliche Appetitzügler

- folgt -

 

 

Weitere Links:

Darmkrebs.de zu Ballaststoffe und Fermentierung

Eine Untersuchung der Harvard-Universität

…. zeigt, dass Lebensmittel mit einem Ballaststoffgehalt von mindestens zehn Prozent fast immer gesünder sind als andere. Sie enthalten weniger Zucker und in der Regel auch weniger Salz und Transfette. Die Forscher schlussfolgern, dass das Zehn-zu-eins-Verhältnis der “beste einzelne Messwert” zur Beurteilung der Qualität von Kohlenhydraten sei.

So eine Meldung ist eigentlich auch nicht ernst zu nehmen, so lange die betreffenden Lebensmittel gar nicht erst genannt werden. Im Endeffekt läuft ja doch darauf hinaus, dass die Brötchen aus Weißmehl “irgendwie knackiger und fluffiger” sind, und Haferkleie nicht zum Huapt-Nahrungsmittel wird…

 

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