Klar – ein Problem muss auch gelöst werden. Manchmal unkonventionell, wie bei Kolumbus und seinem Ei, oder beim gordischen Knoten. Schön wäre das, wenn das beim Übergewicht so einfach wäre. Andererseits: Manchmal funktioniert es ja – manchmal auch nicht. Soweit ist alles altbekannt. Und in der Theorie des Abnehmens sind wir doch fast alle gut, wenn die Theorie auch manchmal etwas zu kompliziert wird, zum Beispiel, wenn es um so etwas verschwurbeltes wie das “egoistische Gehirn” geht.
Angst und Bange kann einem werden, wenn man liest, dass das Gehir von Übergewichtigen sich verändert, das “Belohnungszentrum” infolge von Lerneffekten vergrößert (und “bedürftiger???) ist, und
“Im Gegensatz dazu sind Regionen, die an der kognitiven Verhaltenskontrolle beteiligt sind, vor allem bei übergewichtigen Frauen signifikant verkleinert.”
Suchtexperten wie Anil Batra vom Universitätsklinikum Tübingen sehen “bei den bekannten Abhängigkeitserkrankungen und der Esssucht … “ähnliche Symptome”". (Quelle)
Also auf zu den Overeaters Anonymus, und nie wieder eine Nascherei ähnlich wie bei den anonymen Alkoholikern, die sich ja auch dem abstinenten Leben verschreiben? Wenn das mal so einfach wäre!
Hinzu kommt, dass es für viele die passende Selbsthilfegruppe einfach nicht gibt, und der Aufwand, eine zu gründen, scheint häufig als Überforderung eingeschätzt und gescheut zu werden.
Nun ja – die Sucht. Warum gibt es die denn? Nur mal am Rande spekuliert: Vielleicht ist sie Teil einer narzisstischen Störung. Diese Störung der Selbst- und Objektliebe, des gesunden Selbstbewusstseins hat ihren Namen von der mythischen Figur Narziss – und dieser Name, der sich von der Narzisse ableitet, ist ebenso mit dem Begriff “Narkose” verbunden (aus der Zwiebel der Narzisse lässt sich ein Narkotikum herstellen, auf den Zusammenhang Narziss-Narkose hatte schon Plutarch hingewiesen).
Wobei wir “Narkose” als “Betäubung von Schmerzen” verstehen können und Narkotika auch mal rauschhafte Zustände herbeiführen, und Rauschmittel narkotisch wirken können.
Und dass Rauschmittel auch mal süchtig machen, mehr oder weniger, ist ja bekannt. Weniger bekannt ist, dass Essen wie ein Rauschmittel fungieren kann – wenn der Zusammenhang auch klar auf der Hand liegt und die Kollegin, die in ihre Süßigkeitenschublade greift, weil Zucker doch Nervennahrung sei, genau diesen Zusammenhang illustriert.
Andererseits: Ohne irgendwelche Schmerzen, “Defizite” käme es doch gar nicht zum dauerhaften Gebrauch der Suchtstoffe? Das war mal wieder eine der rhetorischen Fragen, die nur mit einem eindeutigen “Vielleicht” zu beantworten sind:
- Sicherlich gibt es auch psychische Schmerzen, peinigende Ängste, Schamgefühle, Abhängigkeiten, Unterversorgung bei selbst bedürftigen Eltern oder aleinerziehenden Elternteilen, aber
- Sicherlich gibt es auch den rapiden Anstieg von Übergewicht allein aufgrund eines gewissen “Wohlstands” mit der Folge von steigendem Fast-Food-Konsum oder auch Getränken, die mehr Kalorien als Wasser und Tee enthalten.
Wenn dann das Kind in den Brunnen gefallen ist,verschlechtert sich das Selbstbild der Betroffenen rapide, mit den entsprechneden Folgen:
Übergewichtige und adipöse – also stark übergewichtige – Menschen leiden … unter der Stigmatisierung ihrer Körperfülle. Selbstachtung und Selbstvertrauen nehmen ab, Ängste und Depressionen werden wahrscheinlicher, schreiben Anja Hilbert und ihre Kollegen im Fachmagazin “Obesity” . Übergewichtige und Adipöse übernehmen laut der Studie die gängigen Vorurteile: Sie halten sich für faul, undiszipliniert und selbst schuld an ihrem Übergewicht. (Quelle)
Das tut weh, läuft auf eine Selbststigmatisierung im Sinne einer Identifikation mit dem Angreifer heraus und die Wendung der Aggression gegen sich selbst. Wir sollten noch einmal an den ursprünglichen Schmerz denken:
Die Natur der Sucht hält uns in einem Zustand gefangen, in dem wir beständig mit dem Schmerz fertig werden müssen, der von etwas Tiefem und Unergründlichem in uns hervorgerufen wird. Solange wir nicht beginnen, ein wenig von der Sucht abzulassen, werden wir den wahren Grund unserer Leere und unseres Schmerzes nie erfassen. (Quelle)
Nun finde ich es äußerst heikel, aus der Ferne eine innere Leere oder gar ein (nicht zu beweisendes) “spirituelles Defizit” zu diagnostizieren – eine Selbstdiagnose dürfte wiederum nur mit einiger Erfahrung leistbar sein. Theoretisch könnten wir auch von einem “mangelhaft implantierten guten Objekt” sprechen, oder von einer “Lücke im Ich”, die dann notgedrungenauf auf die eine oder andere Art und Weise geschlossen, “plombiert” wird, oder weiterhin schmerzt.
Wer sich nun der kognitiven Verhaltenskontrolle zuwenden will, ohne eventuelle Verlust- und Trennungsängste “anzugehen”, wird schlechte Karten haben. Der wahre Grund der (psychischen) Schmerzen dürfte sich in der Biographie finden, und: Tut Desillusionierung weh?
Die eigenen Ziele und Werte seien unumstößlich, die eigenen Ansprüche gerechtfertigt, Erwartungen angemessen, Verpflichtungen erfüllbar – Was an diesen Annahmen ist Illusion?
Wohin führt eine Umorientierung?
Oder ist es besser Fehler zu machen, zu wiederholen, und weiter zu wiederholen? Vielleicht, weil doch “die Anderen” auch jeden gleichen Fehler begehen, und zu zwischenmenschlichen Missverständnissen immer mindestens Zweie gehören?
Oder ist es besser, die Biographie als “geschehen” zu akzeptieren, wie auch die erlittenen Schädigungen, und das Beste daraus zu machen, also zu versuchen, Alternativen zu suchen, zu wagen, zu probieren, bessere Alternativen zur Gewohnheit zu machen – und auch hier sich nicht zu überfordern, aber zu “bessern”, nachzubessern und zu ändern?
Eigentlich hatte ich bei der Überschrift “Die Lösung für Dein Übergewichtsproblem” daran gedacht, die Fortsetzung “… musst Du schon selbst finden” folgen zu lassen. Das ist hiermit auch geschehen, wenn es auf dieser Seite auch Lösungs-ansätze gibt. Aber eigentlich bleibt es dabei, dass vorgegebene Lösungsansätze nicht automatisch ultimativ richtig sind, nur, weil sie irgendwo geschrieben stehen. Insofern:
