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Ernährungs-Experten, Fakten, Perspektiven und Verantwortung

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Mal im Ernst gefragt: Brauchen wir “Ein Buch gegen die herrschende Verbotskultur und die Mythen der gesunden Ernährung”?

Ich habe da so meine Zweifel. Die “herrschende Verbotskultur”: Gibt es doch gar nicht. Es darf doch jeder essen, was er will, oder sich leisten kann, und niemand macht Vorschriften, was den Höchst-Kaloriengehalt eines Stückchens Sahnetorte betrifft. Aber wir haben es, das Buch:

Muss denn Essen Sünde sein? – Orientierung im Dschungel der Ernährungsideologien

Die Sache mit den “Mythen der gesunden Ernährung” steht im Klappentext. Wobei ein Mythos ja eine Helden- oder gar Göttergeschichte mit Kampf und Tod, manchmal auch Wiedergeburt ist – mit einem gewissen Wahrheitsgehalt allerdings, und mit Helden und göttlichen Figuren, die dann doch recht menschlich sind.

Die Mythen lehren uns also so Manches über die Menschen…

Aber wer es sich einfach machen will mit dem nicht so gewissen Wissen über die Ernährung, disqualifiziert Aussagen über gesunde Ernährung schon mal als “mythisch” – also wissenschaftlich unbewiesen.

Die “Sünden beim Essen” zu hinterfragen – das ist ja ein beliebtes Spiel. Wir hatten schon mal einen Bestseller “Lizenz zum Essen”, 2011 erschien

“Kann denn Essen Sünde sein?: Wer richtig genießt, bleibt gesund und schlank” von Prof. Dr. Michael Hamm (“Gesundes Genießen ohne schlechtes Gewissen hält schlank und streichelt die Seele.”),

und, das muss ich gestehen:

Kann denn Essen Sünde sein?

Auch bei mir selbst ist diese Frage schon mal aufgetaucht…

Ich hatte allerdings kein Gedöns darum gemacht und es mit einem kurzen Essay gut sein lassen.
Sündiges Verhalten beim Essen bezieht sich – aus theologischer Sicht – auf die Völlerei, die gibt es, mag das Wort “Völlerei”  auch noch so altmodisch klingen.
Zu klären wäre da vielleicht noch der Begriff der Sünde an sich, nicht um ihn zu verwässern oder zu verniedlichen, sondern um den Komplex von Verboten, Geboten und Verlockungen, die Fähigkeit “Nein” zu sagen und dem “inneren Schweinehund” zu begegnen zu diskutieren…

Sicher – die Theologen haben sich einiges ausgedacht, um in uns die Lustfeindlichkeit einzupflanzen – eine Todsünde haben sie jedenfalls frei erfunden – und diese erfundene Todsünde steht dementsprechend ganz im Gegensatz zur Mythologie (gemeint ist der Mythos von Amor und Psyche, deren Kind Voluptas in mittelalterlichen Darstellungen  als hässliche Alte erscheint); dass die Völlerei nicht auf den Pfad der Tugend gehört, ist aber wohl unstrittig. Dafür muss man nicht religiös argumentieren, das kann man auch medizinisch-wissenschaftlich begründen.
Aber natürlich stehen wir religiösen Speisevorschriften kritisch gegenüber, ohne zu hinterfragen, was an diesem “kritischen Standpunkt” so natürlich ist – denn auch der wissenschaftlich-aufgeklärte Standpunkt und/oder eine hedonistische Haltung sind letztlich erworben, und nicht so “natürlich” wie Ebbe und Flut.

Neben den künftigen Ernährungstrends scheint es momentan  “ideologisch” zuzugehen, und

 

… Hanni Rützler kritisiert Menschen, die Ernährung ernst nehmen wie eine Religion. In einem Buch fragt sie, wer dem guten Leben mehr schadet: die Ernährungsindustrie oder die Ernährungsfundamentalisten?

Eine gute Frage geht anders, aber über diese lässt sich trefflich streiten – im Rahmen der Meinungsbildung. Das Klischee vom Ernährungsfundi wird noch gebraucht, und die Sünden der “Ernährungsindustrie” relativieren sich ganz klammheimlich.

Wer sich für einen veganen oder mehr oder weniger vegetarischen Lebensstil entscheidet, wird als Fundamentalist abgestempelt. Fundamentalistische Flexitarier erfinden wir noch dazu, nur wegen der Begriffsverwirrung. Beachte:

Klassische Foodies machen zwischen drei und fünf Prozent aus. Im Prinzip ist etwa ein Drittel der Gesellschaft sehr interessiert am Thema Essen. Wenn jemand aber nicht weiß, wie er die Miete bezahlen soll, wird er eher auf günstiges Fleisch und Industrieprodukte setzen. Das ist außerdem auch eine Frage von Bildung, da ist die Politik gefordert.

Die Politik hat andere Sorgen, als arme Leute über gesunde Ernährung aufzuklären. Das könnten doch eigentlich die Medien machen. Die Journalisten aber führen Interviews mit Experten, und gemeinsam wird der Politik die Schuld an der verfahrenen Situation zugeschoben.

“Das perfekte Dinner” für einen Euro fünfzig, und eine Sonderseite in der BILD:

“Selbsthilfe: Frisches VOLKS-Sauerkraut auch in der ärmsten Hütte”

- wäre doch mal ein Anfang, den die Medien machen könnten. Oder ist das Ernährungsfundamentalismus?
Sauerkraut ist gesund” – ein Ernährungsmythos? Sauerkraut ist jedenfalls eines der preiswertesten unter den gesunden Lebensmitteln – gerade, wenn man es selbst macht.

 

Nutzen für die Gesundheit

Die Kombination aus Milchsäure und Vitamin C sowie die wasserlöslichen Ballaststoffe und der Gehalt an sekundären Pflanzenstoffen machen das Kraut so besonders wertvoll für den Darm und damit für unsere Gesundheit. Der sonst eher schwerverdauliche Weißkohl wird durch die Zugabe der Milchsäure-Bakterien sehr viel bekömmlicher und weicher. Zudem sind Milchsäure-Bakterien von großer Bedeutung für eine gesunde Darmflora. Die bereits erwähnten Ballaststoffe helfen sanft bei der Reinigung des Darms.

Dieser Textabschnitt stammt von foodwatch - bei Wikipedia gibt es diese Anmerkung: “Von den griechischen Naturphilosophen ist bekannt, dass sie Sauerkraut empfahlen.[3]

Genau darum geht es: Was kann man ruhigen Gewissens empfehlen, was nicht? Das ist letzlich eine Frage nach dem Erfahrungswissen, das wenig mit Mythen zu tun hat, und nichts mit Ernährungsfundamentalismus oder -Faschismus.

Auf der komunalpolitischen Ebene dafür zu sorgen, dass Bürgergärten zur Verfügung stehen, fände ich auch nicht schlecht.

Sich mit “sektenhaft agierenden Kulinarikern” (die kommen in neuen Varianten immer wieder – das Versprechen vom Schlank-Schlafen ist nach langer Laufzeit ein Auslaufmodell)  auseinanderzusetzen, um schließlich mit der Formel “Genuss ist die Voraussetzung für Gesundheit” die Lösung für ein exklusives Problem zu finden – geschenkt. Es gibt Essens-Besser-Wisser, die ökonomische Gründe haben – einige leben davon, und es gibt Orthorektiker, die in die Rubik “essgestört” fallen.

Im Spiegel-Interview wurde ein hochstilisierter Ernährungsfundamentalismus “unserer” Angst vor dem Essen gegenübergestellt – wobei das Eine die Ausnahme und das Andere ein weites Feld ist; hier spielen auch die Essstörungen hinein, die mit Depressionen und Angststörungen zusammenhängen können und behandlungsbedürftig sind.

Bedeutungsverlust des  Versorgungskochens heißt: “Der Anteil an Ein-Personen-Haushalten ist gewachsen, ebenso wie der Anteil berufstätiger Frauen. Heute müssen daher viel mehr Menschen tagtäglich selbst entscheiden, was sie essen. Sie können die Entscheidung nicht mehr an die erfahrene Hausfrau delegieren.” Man sollte bei dieser Diagnose auch hinzufügen, dass das Single-Dasein tendenziell menschenunwürdig ist – und dass wir Alternativen zum Alleine-Kochen suchen sollten.

Alternative Ernährungsempfehlungen gibt es – aber auf die müssen wir auch hinweisen.

Kreatives Kochen sollte meiner Meinung nach eine Bereicherung sein, Ernährungswissen berücksichtigen und “einfach” Freude machen.

Sicherlich werden gerade Übergewichtige von Debatten um “das richtige Essen” nahezu erschlagen, und ich kann der Aussage

“Es geht hier immer um die richtige Dosis, um Abwechslung und Vielfalt. Und die kann man viel leichter finden, wenn man sich erlaubt, Essen auch wahrzunehmen und zu genießen. Es geht beim Essen ja nicht nur um Sättigung und die Aufnahme von Nährstoffen, sondern auch um Freude und Lebensqualität und die nehmen wir uns durch eine Vielzahl von Debatten.”

durchaus zustimmen – bei der richtigen Zusammensetzung saisonale, regionale, qulitative Prioritäten zu setzen, beim der richtigen Quantität das richtige Maß zu finden: An der jeweiligen Genussinsel muss jeder selbst arbeiten, der keine qualifizierte Versorgungsköchin hat ;-)

 

Liebe Leserin, lieber Leser,

da will man sich gesund ernähren und ungesunde Gewohnheiten ablegen, und schon kommt ein Buch heraus, bei dem man meinen könntge, plötzlich ein Ernährungsideologe zu sein – wie findet Ihr das?

 

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