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Liftgirls und Ernährungsberater im Kollektiv der Angestellten

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“Um noch einmal auf die Diätlügen zurückzukommen: Der Gedanke, dass sich da über die Jahre ein verlogenes Konstrukt, ein Trugbild, ein Lügengebäude aufbaut, das labyrinthartig  seine Opfer gefangenhält, ihnen ihre Freiheit vorenthält – das hat schon etwas Beunruhigendes. Wenn ich mir vorstelle, dass dadurch – bei besten Absichten, vielleicht, täglich falsche Entscheidungen mit fatalen Folgen gefällt werden, wird mir schlecht.”

Tatsächlich machte Annelie zunächst einen leidenden Eindruck bei unserem letzten Treffen. Nach der ersten Tasse ihres Lieblingstees kamen die guten Geister zurück, und sie konnte sich entspannen.

Solange es sich bei den Konsumentscheidungen noch um Entscheidungen handelt, kann man ja noch beeinflussen, was man tut. Dann kann man auch Fehlentscheidungen treffen, schlechte Erfahrungen machen, und muss sie nicht wiederholen.

Meine Smoothie-Episode

“Die Neugier hatte mal wieder gesiegt – bei einem Experiment zu grünen Smoothies zum Beispiel. Sicher – eigentlich ist es ja klar, dass püriertes Gemüse kein befriedigendes Frühstück ist – ich will auch nicht sagen, irgendjemand hätte mich manipuliert, um mich dazu zu bringen, so etwas auszuprobieren, wider jede Vernunft sozusagen. Weil Smoothies aber allüberall Thema waren – ich wollte halt auch mitreden können, das ist alles. Beim Bloggen geht es ja auch um Trends, die man nicht verschlafen darf.”

Diesen Aspekt des Bloggens sah Annelie aber kritisch:

“Und wenn Du jedem Trend hinterherhechlst, wirst Du auch immer bei den Letzten sein. Bei den Smoothies haben vielleicht einige wenige mit sogenannten “Hochleistungsmixern” ganz gut verdient, die Billigheimer, die ALDI & Konsorten mal kurzfristig im Angebot hatten, sind in der Tonne gelandet – das wars auch schon mit den Smoothies…”

Sicher hatte sie da mal wieder recht, und natürlich fand ich es richtig, wenn sie einen Irrtum Irrtum nannte. Die Kantine der Global Collecting & Entrusting Bank (GCEB) jedenfalls sollte keine Grünen Smoothies anbieten, meinte Annelie – höchstens auf Bestellung und frisch,

“… andererseits, wenn beispielsweise das Liftgirl so etwas will, der Figur zuliebe, warum nicht? Ich finde, man darf auch die “unteren Chargen” nicht vernachlässigen, und den Liftgirl-Job sollte man wieder einführen, wenn man die Belegschaft als Team, in dem gegenseitige Wertschätzung und Achtung herrscht, definieren will – falls Du Dich wunderst, warum kein “Liftboy”: Das fände ich schade, das sollte doch nicht erklärungsbedürftig sein”"

Ich hätte bei der Frage Lift-girl/boy ohnehin keine besondere Präferenz, und bei “Genderpolitik” halte ich mich lieber heraus.

Was die Unternehmenskommunikation betrifft, ist es natürlich für die Angestellten schön, wenn sie gefragt werden, wohin sie möchten. Unter Gesundheitsaspekten könnte man dem Liftpersonal auch auftragen, die Liftnutzer zu fragen, ob sie wirklich fahren möchten – der Hinweis, dass es auch ein Treppenhaus gibt, das nicht nur als Fluchtweg genutzt werden sollte, kann ja nicht oft genug erfolgen.

Süßsaures Hühnchen auf Reis hatte ich noch im Angebot, wenn auch nicht in diesem Zusammenhang, und die Option, so etwas mikrowellenfertig zu beziehen, etwa, um an der Theke noch ein Zusatz- oder Sonderangebot zu offerieren, könnten die Banker dann ja bei Bedarf mit dem Ernährungsberater des Vertrauens besprechen, worauf Annelie erwiderte:

“Wenn die Bank den Bankern einen Ernährungsberater, eine Beraterin an die Essensausgabe stellt, ist das natürlich als Devotion, Zuwendung, Hinwendung, Schaffung einer achtsamen Athmosphäre gedacht – die Firma als Quasi-Familie zeigt ihren Mitgliedern, dass sie sich kümmert,  und sowieso die Mitarbeiter versorgt, die sich aber nicht passiv füttern lassen sollen, sondern gerne sich auch mal aktiv bei der Essenszubereitung beteiligen sollen – so steht es jedenfalls im Roh-Entwurf des Collecting & Entrusting-Kantinen-Entwurfs.
Der Antagonismus, dass gleichzeitig auch Überwachung und Kontrolle, Manipulation und Lenkung (also Erziehung) des Personals – letztlich unter  einer sehr weitgefassten, eigenen Interpretation von “Datenschutz” stattfinden, ist aber schon im Namen und Motto der Bank angelegt: Sammeln und Betrauen; denn Vertrauen und Kontrolle gehen nun mal zusammen.”

Mir kamen diese Erläuterungen zur Firmenphilosophie eher ideologisch und kaum nachprüfbar vor, ich  wollte aber nicht direkt sagen, dass ich damit nichts anfangen konnte, ging also auf den einen Punkt, an dem die Sache praktisch werden konnte, ein:

Kunden belegen ihre Pizza selbst

Pizza mit Teig aus Dinkelvollkornmehl, unter Verwendung nicht mehr allzu frischer Champignons (auch die müssen weg), mit Zaubersauce und Feta

Ich finde ja, Alles sollte seine Ordnung haben, und deshalb würde ich

Der eigentliche Belag - Champignons, Oliven, tomate verhüllt von verscheidenen Käsesorten - auch eine Form von "Dunkelpizza"

den Donnerstag als Pizza-Tag einführen, und:

“Pizza selbst zu belegen – das entspricht doch Deinem emanzipatorischen Ansatz, und auch der Stärkung des Selbstwirksamkeitsprinzips?
Wobei diese Pizza hier eine ziemliche Dunkelpizza ist: Zum Einen wegen dem schwachen Licht, zum Anderen aber auch wegen dem dunklen (Dinkel-) Vollkornmehl; das ist ja auch so eine Diätlüge, die immer wieder implizit Glaubensgrundsatz ist, dass helles Mehl oder Vollkornmehl egal wäre – jedenfalls wird die Vollkornvariante massiv unterdrückt, aus dem öffentlichen Blickfeld verbannt auf eine geradezu rassistische Weise.”

Natürlich müsse man (“Frau aber auch”) die Arbeitsweise der Weißmehl- und Zuckerlobby  kennen – die Veränderungen im Essverhalten fingen aber etweder im Kopf oder im Magen an, meinte Annelie, brachte die analytische Durchdringung des kulinarischen Gewohnheits- und Vorliebenzirkels damit – so meinte ich zunächst – auch nicht sonderlich voran.

Ohnehin mussten wir uns vertagen, und ich bot Annelie zum Abschied noch einen “Kurzen” an:

Fruchtessig vom Feigenkaktus - definitiv eine Spezialität und Rarität

Dass sie keine sonderliche Lust auf Essig hatte, nahm ich ihr auch nicht übel, und ihre Empfehlung, “das Zeug” vielleicht für eine fruchtige Salatmarinade zu gebrauchen, wollte ich bis zu unserer folgenden Zusammenkunft umsetzen. Das “Zeug”, der Kaktusfeigen-Essig, genauer gesagt Vodka auf Kaktusfeige, veressigt mit Obstessig-Mutter, sei aber schon recht speziell, geschmacklich nuancenreich, dabei eigentlich in gewisser Weise neutral, jedenfalls an keine Geschlechter-Quote gebunden…

 

 

Liebe LeserInnen,

mit Annelie Schmidtchens Kitchen-Fiction habt Ihr ein neues Format der Diät-Unterhaltung entdeckt:

Politik und Leiblichkeit

Mit Farbfotografien leckerer Lebensmittel zum Abnehmen garnierte Geschichten, die sich um Lebensmittelklarheit und Aufklärung ranken, unter dem Banner des Selbstbestimmungsrechts auf dem eigenen Teller. Die sogenannte “Zaubersauce” harrt immer noch ihres Coming-Outs, und die polit-ökonomische Entwicklung in der Welt beeinflusst die Welt ihrer Banker-Kantine nach wie vor.

Die Artikelserie wird fortgesetzt!

Die bisher erschienen “Kitchenfiction mit Annelie Schmidtchen”-Beiträge  stehen noch kurze Zeit zum Nachlesen bereit, aber das Beste ist: Die Artikelserie wird fortgesetzt!

 

 

 

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