Ein bisschen säuerlich schaute Annelie auf das Photo – denn von Essig im Schnapsglas wollte Annelie auch gestern nichts wissen, als ich das Thema noch einmal ansprach – “… und auch Vincent Klink propagiert das “Essig-Do-it-yourself“, schüttet keine Weinreste weg, sondern macht besten Essig, wie es ihn im Supermarkt praktisch nicht gibt” argumentierte ich.
Aber ein Full-Time-Job, familiäre Verpflichtungen und ein Hobby (das heißt für sie, die Eintracht Frankfurt im Stadion zu unterstützen) lasten Annelie bereits aus, wenn sie sich im Job schon externe Unterstützung holt, könne sie sich deshalb innerhalb ihres Zeit-Budgets noch längst keine Essigspielereien leisten, meinte Annelie, und ich entgegnete ziemlich mitleidlos, wenn sie ihre familiären Verpflichtungen erfülle, könnte sie ja auch die Familie in die Pflicht nehmen, was den Bereich “Essig” und Abfallvermeidung betrifft, wenn “Nachhaltigkeit” keine hohle Formel sein solle.
“Ist das nicht ein bildhübscher Salat?” fragte ich Annelie, und sie stimmte mir doch tatsächlich zu.
“Solltest Du noch Fragen zum “Rotsauerkraut-Möhren-Pastinaken-Salat mit Kaktusfeigen-Essig-Marinade” haben, folge doch einfach dem Link”, forderte ich sie auf, weil ich eigentlich noch ein paar Fragen zu “Diätlügen und Rezept-Entwicklung” hatte, auch die Persönlichkeitsentwicklung des Außenministers, der offenbar keine Fragen zur Gewichtsreduktion beantworten mag, diskutieren wollte – und die Gelegenheit, einer Industrie- und Betriebssoziologin noch ein paar Fragen zum gefräßigen Peugeot-Konzern, der sich einfach mal unsere Traditionsmarke, Opel, einverleibt – auch das interessierte mich – das interessierte auch Annelie, aber allzuviel Zeit hatte sie heute nicht, denn da gab es noch eine Verabredung:
“Wir müssen heute etwas früher aufhören, denn ich will mit ein paar Mädels noch zu einer Thermomix-Party gehen, das neue Modell anschauen, gemeinsam etwas schnippeln, kochen und speisen”
erklärte sie, und auch, dass ihr Besuch eigentlich eine Art “Feldstudie” und “Life-Space-Interview” sei – natürlich würde sie nie und nimmer selbst eine derartige Investition vornehmen, sondern lieber fürs gleiche Geld ein Jahr lang monatlich mit Familie fein essen gehen, lieber Urlaub machen als sich so einen kochenden Häxler zuzulegen: Dieses “Klein-Hacken” bezieht sich auf die Unart mancher Thermomix-Bestzerinnen, chaotisch zerkleinertes Kraut als “Krautsalat” präsentieren zu wollen; da waren wir uns schließlich einig.
“Wahrscheinlich macht keine Küchenmaschine der Welt so gut Mus aus Kraut, aber für meine Rotkrautsuppe war ein Mixstab für einen zweistelligen Betrag auch noch gut genug, und solange die Vorwerk-Ingenieure ihrem Gerät kein Essig-Brau-Programm eingeben, kann ich das Ganze nicht für voll nehmen. Aber wehe, sie züchten ihrem Alleskönner noch Greifarme an den Leib, künstliche Intelligenz in den Chip – mit dem Internet verbunden ist es (glaube ich) ja schon heute und verpetzt die Benutzer, was deren Ess- und Kochgewohnheiten betrifft, wahrscheinlich hemmungslos!”
Annelie nickte zustimmend, meinte, auf der küchentechnischen Ebene (ein Wort, das ich noch nie gehört hatte) sei, wie man an meinem Salat sehe, ein gutes Küchenmesser und ein “gescheiter Hobel” sicherlich effizienter,
“irgendwie ist es doch gefühlsmässig klar, dass Lauch in Scheiben geschnitten gehört! Aber das ist auch nicht das Hauptproblem, sondern es geht ums Geltungsbedürfnis: Sicher ist Vorwerk kein Großkonzern, und niemand kann sagen, “das Kapital” würde die Leute vom kreativen Selbst-Kochen abhalten. Aber es ist dann doch der Kapitalismus. Die Ware hat einen Fetischcharakter angenommen – “Haste was, biste was”, und diese Einstellung ist so allgemein verbreitet, dass sie wie ein Gesetz wirkt.”
Zwar wusste ich um Annelies atheistische Grundeinstellung, konnte mir aber eine Bemerkung über diesen “Tanz ums goldene Kalb” nicht verkneifen.
Mir reicht ja auch ein “Food-Prozessor”, der auch mal Fleisch zerkleinert oder, was auch kostensparend ist, Brötchen in Weckmehl verwandelt – so kam es zu den Körner-Spuren in den Mini-Königsberger-Klopsen, die vorläufig auch die begabteste Küchenmaschine der Welt nicht formen kann. Das “Brät” enthielt schließlich auch noch “pürierte” Petersilienwurz.
Wahrscheinlich kann man ja künftig sein Essen ausdrucken – erste Studien zu dieser Technologie gibt es ja schon, und meinetwegen soll man auch Häuser drucken – das programmierte Kochen hat aber doch den Beigeschmack, dass es etwas für Unfähige ist, denen ohne Unterstützung wohl noch das Kochwasser anbrät.
Die Geschichte, wie ich einmal einen beschichteten Topf ruiniert hatte, weil ich den Reis darin vergessen hatte, bei eingeschalteter Platte, interessierte Annelie ähnlich wenig wie mein Vorschlag, doch zu dieser Küchenhilfe zu greifen -
- die kann man gleich bestellen, hat sie bald im Haus und bezahlbar sollte sie auch sein. Beim Kochen könnte dann noch ein programmierbarer Multicooker von Vorteil sein.
Wurst mit Salatkernen
”Das ist sozusagen nur eine Skizze – aus der Rezeptentwicklung, ein Entwurf. Wenn Du nur perfekte Bilder willst – dann wäre ich vielleicht nicht der richtige Geschäftspartner; außerdem kommt es doch sehr auf den künftigen Chef der Kantine an, was Ihr dann tatsächlich auf der Theke habt, ob belegte Brötchen oder nicht, nur mal als Beispiel…
Anmerken möchte ich zur “Küchentechnik” noch, dass ich hier der Wurstmasse noch Salatkerne hinzugefügt hatte – der Nachhaltigkeitseffekt so einer Maßnahme kommt natürlich erst in der Multiplikation, wenn alle das machen also, zum Tragen; außerdem gibt es ja auch “schon immer” gestreckte Wurst, mit Pistatzien zum Beispiel – und hier hatte ich, wie gesagt, neben den Sonnenblumen-, Pinien- und Kürbiskernen auf 500 Gramm Hackfleisch rund 6 % Petersilienwurz, ebenfalls feingehackt, zugesetzt.”
Annelie meinte, dass so ein Ansatz, Fleisch einzusparen, auch bei den “Reduktionisten” vertreten würde – und
“… die Propagierung der Nachhaltigkeit ist ja keine Verpflichtung, vegan zu leben. Innerhalb unserer Wertegemeinschaft kommt es worauf an? Auf Werte und Gemeinschaft! Also auf Leitwerte, Leitlinien – um das mit einem Zitat zu untermauern…:
„Ich denke, dass der Mensch des XXI Jahrhunderts andere Leitlinien haben muss, mit anderen Wertvorstellungen. Ein Mensch, der nicht essenziell und hauptsächlich von Geld geleitet wird. Ein Mensch, der weiß, dass es glücklicherweise einen anderen Maßstab gibt, indem die Intelligenz die große schöpferische Kraft ist.“
Das war Salvador Allende, um das mal nebenbei einfließen zu lassen…”
Klar, es gibt “Werte”, und Werte. Vergangenheitsbewältigung und Verdrängung, Rezepte und Rezepturen. Lüge und Wahrheit. Wahr war aber auch, dass ich für irgendwelche Rädchen im Getriebe, Banker, die von der Insel nach Hessen kommen würden, “schmackhafte und gesunde” Rezeptideen (er)finden sollte. Also sagte ich, und konnte beim Gedanken an das schlimme Ende von Salvador (und auch Victor) meine Rührung nicht verbergen, dass ich noch ein
Sehr spezielles Suppenrezept der Conny Blum
(Leserinnen-Rezept, hier nachgekocht: Gemüse- brühe mit Curry, Ingwer, Kardamon + Gemüse, Reisnudeln)
anzubieten hätte, gern in interntionaler Solidarität, allerdings nicht sehr südamerikanisch.
Als Annelie mit glänzenden Augen meinte, das sehe aus, als hätte es das Zeug, eines ihrer Lieblingsrezepte zu werden, fühlte ich mich ihr doch recht eigentlich verbunden, präsentierte ihr noch eine Kleinigkeit,
und, da wir beide gleichzeitig auf die Uhr schauten, war auch klar, dass wir uns mal wieder vertagen mussten.
Meine Abschlussnotiz hatte Annelie mitgelesen, meinte, das müsse ich im Präsens formulieren – immer – und ich wollte nicht immer verbessert werden. Aber der Abschied von der Unternehmenssoziologin war schließlich einvernehmlich & herzlich…
Liebe LeserInnen,
mit Annelie Schmidtchens Kitchen-Fiction schlagen wir ein neues Format der Diät-Unterhaltung auf:
Gesellschaft und Leiblichkeit
Farbfotografien leckerer Lebensmittel zum Abnehmen, garnierte Geschichten, die sich um Lebensmittelklarheit und Aufklärung ranken, unter dem Banner des Selbstbestimmungsrechts auf dem eigenen Teller.
Wir decken schoningslos die schlimmsten “Diätlügen” auf und bieten bekömmliche Alternativen zum grauen Grausen der langweiligen, ungenießbaren herkömmlichen Diät-Rezepte.
Die bisher erschienen “Kitchenfiction mit Annelie Schmidtchen”-Beiträge stehen noch kurze Zeit zum Nachlesen bereit, aber das Beste ist: Die Artikelserie wird fortgesetzt!
Siehe auch:
Wenn der Thermomix brummt, freut sich Vorwerk